Ausradiert: Thriller (German Edition)
vertraut, gründlich in seiner Erinnerung vergraben. Die Jahre fielen ab, wenigstens von ihm. Nick hörte, wie sich sein Tonfall änderte, als ständen sie sich nah. »Hast du jemals den Film gesehen?«, fragte er.
»Unseren Film?«
»Ja.«
»Vor ewigen Zeiten«, antwortete Elaine. »Warum?«
»Ich hatte die Szene mit dem Psychologen vergessen«, sagte Nick.
»Scheiß auf den Psychologen«, sagte Elaine. »Man hätte Reasoner in Stücke reißen sollen. Wann hast du ihn gesehen?«
»Gestern Abend.«
»Klingt, als hättest du gut zu tun.« Jemand sprach sie aus dem Hintergrund an, sie hielt den Hörer zu und erwiderte gedämpft etwas, das er nicht genau verstehen konnte, vielleicht »Zwei Minuten«.
»Elaine?«
»Ja?«
»Ehe du auflegst.«
»Stimmt was nicht?«
»Ist etwas in der Art wirklich passiert, Elaine?«
»Das Treffen mit dem Seelenklempner? Nee. Ein paar psychologische Gutachten mögen rumgeflogen sein, aber bei einem Ungeheuer wie Reasoner, wer braucht da einen Psychologen? Das waren deine eigenen Worte.«
»Ehrlich?«
»Ich habe eine Menge von dir gelernt, Nick.«
»Wie zum Beispiel?«
»Meinst du das ernst?«, sagte Elaine. »Ich wäre ohne dich nicht hier.« Nick hörte im Hintergrund einen Mann lachen.
»Das stimmt nicht«, sagte Nick. »Du warst vom ersten Tag an für den Erfolg bestimmt.«
»Wie lieb von dir, das zu sagen«, erwiderte Elaine. »Selbst wenn du es nicht so meinst.« Längeres Schweigen. »Du hast doch etwas auf dem Herzen«, sagte sie.
»Diese Gutachten«, sagte Nick. »Kannst du dich noch an Einzelheiten erinnern?«
»An was?«
»Pädophilie.«
»Reasoner pädophil? Absolut nicht. War der nicht schon verkorkst genug?«
»Es muss nicht unbedingt bestätigt oder bewiesen sein«, sagte Nick. »Nur psychologische Spekulationen über möglichen Missbrauch von Kindern. Und sei es auch nur ein Gerücht.«
Im Hintergrund sprach wieder jemand. Diesmal verdeckte Elaine das Mundstück nicht vollständig. »Jetzt nicht«, sagte sie mit zornig erhobener Stimme. Sie senkte sie und fragte: »Was ist los, Nick?«
»Ich möchte diese Akten sehen.«
»Die psychologischen Profile aus dem Fall Reasoner?«
»Alles«, sagte Nick. »Alles, was das Department hat.«
»Über die Ermittlungen?«
»Über Reasoner«, sagte Nick. »Alles.«
»Was soll das denn?«
»Ich will sie einfach«, sagte Nick.
»Erzähl mir nicht, du arbeitest an seinem Gnadengesuch.«
»Natürlich nicht.« Der Gedanke machte ihn rasend.
»Was dann?«, fragte Elaine. »Schreibst du deine Memoiren?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil –« Sie unterbrach sich. »Hast du vor, weiterzuarbeiten?«
Nick wurde laut. »Warum nicht?«
Schweigen. Nick hörte, wie Elaine Luft durch die Nase blies, ein rasches ausdrucksvolles Schnauben, zum Teil Gelächter und zum Teil etwas, das er nie wirklich hatte bestimmen können. Er erinnerte sich, wie er es auf seinem Gesicht gespürt hatte, eines jener kleinen Dinge, die Kathleen fortgeweht hatten.
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach Elaine.
Er verabscheute es, um Hilfe zu bitten, aber wen, wenn nicht sie?
Nick rief Billie an, erreichte ihre Mailbox. »Tut mir leid, dass ich deinen Anruf verpasst habe«, sagte er. »Es geht mir gut. Bin wieder mein altes Ich.« Er verstummte, behaglich in ihrer Mailbox, als wäre sie ein Zimmer in ihrem Haus. »Wie sehen deine Pläne aus?«, fragte er nach einer Weile. »Ich habe mir überlegt –« Und in diesem Moment kehrte die großartige Idee, die ihn beim Erwachen verlassen hatte, zu ihm zurück, präzise umrissen und völlig unvergesslich. »Ich dachte mir, wir könnten heiraten.«
Was hatte er gesagt? Ein Heiratsantrag auf einer Mailbox? Und auch noch so lässig formuliert. Sie musste glauben, er wäre krank. Wie ausradieren, löschen, ungesagt machen?
Nick wusste es nicht. Er legte den Hörer auf.
Er machte Frühstück – ein Omelett aus vier Eiern, vier Scheiben Frühstücksspeck, vier Scheiben Toast mit reichlich Butter und Marmelade, eine fürstliche Mahlzeit. Köstliche Düfte breiteten sich in der Küche aus, aber Nick hatte auf einmal keinen Hunger mehr. Konnte jedem passieren, bedeutete gar nichts. Er langte quer über den Tisch nach einem Blatt Papier. Was war das?
Drei Quadrate, beschriftet mit Freitag, Samstag, Sonntag, aufgeteilt in Tag und Nacht. Freitag, 14:45 Uhr – Beginn der Zeugenaussage, Prozess gegen Canning. Sonntag, 16:48 Uhr – Einlieferung ins St. Joe’s. Dazwischen:
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