Ausradiert: Thriller (German Edition)
Grundrisses dort unten?«
Er nickte. Das war dicht genug dran.
Sie führte ihn in den Keller hinunter: Vorratsraum, Waschkeller, in dem Waschmaschine und Trockner liefen, ein spartanisches kleines Büro, makellos aufgeräumt bis auf ein paar zusammengeknüllte Papierkugeln unter dem Schreibtisch. Nick sah durch das kleine ebenerdige Fenster zum Maschendrahtzaun, der glitzernd das Licht reflektierte, und auf 1491 Rosetta Street dahinter. Stephanie blieb stehen und warf die zusammengeknüllten Blätter in den Papierkorb. »Ich hatte heute eine Präsentation«, sagte sie. Das Zimmer roch nach Putzmitteln, Tinte, Zielstrebigkeit. Was die Bestätigung von Ruis Geschichte betraf: unmöglich. Das Haus hatte Onkel Jerry vergessen.
Was passiert, wenn man seine ganze Energie in eine ungewisse Zukunft setzt und die Vergangenheit plötzlich ebenso ungewiss wird? Nick erinnerte sich an eine Gedichtzeile von irgendwoher. Der Autor, der vielleicht einen Berg erklettert, erreicht die Spitze, schaut in die Runde und sieht: »Alpen über Alpen türmen sich auf«. Genauso war es. Wie hätte Petrov darauf reagiert? Nicht, indem er nach Hause fuhr – und dabei die falsche Abfahrt von der 5 nahm – und sich aufs Bett legte. Aber Nick wollte in der Nähe seiner Scheibe sein. Er lag mit geschlossenen Augen da. Erschöpfung stellte sich umgehend ein, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Nick machte sich Sorgen, dass die Scheibe fort sein könnte, vielleicht von irgendeinem Feind gestohlen. Wer waren seine Feinde? Nick wusste es nicht, aber einer von ihnen fuhr ein Motorrad. Klingelte es bei ihm? Nein. Nick setzte sich auf, öffnete den Matratzenknopf, untersuchte die Innenseite. Die Scheibe: nach wie vor da. Er berührte ihre vollkommene, glatte Oberfläche. Als er sich wieder hinlegte, bemerkte er, dass das Lämpchen an seinem Anrufbeantworter blinkte. Er drückte die Taste.
»Hi, Nick. Billie. Ich wollte dich heute Abend besuchen, aber du warst nicht da. Ist alles in Ordnung?«
Nick drückte wieder die Taste. Und wieder. Und noch einmal. Er wünschte, es gäbe eine Repeatfunktion. Billies Stimme, die aus dem kleinen Lautsprecher des Hörers drang, begleitete ihn in den Schlaf. Er dachte daran, sie anzurufen, besaß aber nicht mehr genug Energie.
Nick erwachte. Noch dunkel. Nicht mehr so erschöpft, ein paar Schritte davon entfernt, aber immer noch dunkel, warum also war er aufgewacht? Er fürchtete die Antwort zu kennen: Sein Verstand hatte lange genug geruht, wollte weitermachen. Was bedeutete, dass der Schlaf, eine beunruhigende Ouvertüre, ja, aber auch eine wunderbare Zuflucht, ihm ebenfalls genommen wurde.
Sein Verstand ließ sich nicht beeinflussen. Ob Nick insgesamt bereit war oder nicht, sein Verstand war wieder zu Atem gekommen, war bereit, weiterzumachen, wollte sich wieder mit Rui beschäftigen. Sechs von sieben. Rui hatte ihm befohlen, sich zu konzentrieren, und auf was? Darauf: In der Nacht, in der Lara Deems ermordet wurde, war ich bei Onkel Jerry im Keller. Deshalb konnte Gerald Reasoner Lara Deems nicht ermordet haben. Aber wie war das möglich? Zum einen hatte die Dr.-Tulp-Karte an Laras Kühlschrank geklebt. Wer hatte gewusst, dass die Postkarte in den Wohnungen sämtlicher Opfer gefunden worden war, Reasoners Unterschrift? Nur Reasoner und natürlich Nick, der es am Tag vor Laras Ermordung entdeckt hatte, als er durch Nicolette Levys Hawaiialbum blätterte.
Darauf folgten Nicks Besuch im Getty Museum und die Verhaftung Reasoners, vierundzwanzig Stunden zu spät, um Lara Deems zu retten.
Demnach unmöglich. Gab es in Reasoners Vergangenheit Beweise für Kindesmissbrauch? Nick konnte sich an keine erinnern. Innerlich verkrüppelt, voller Angst vor Frauen und voll Hass auf sie, ein stiller Sadist: all das, aber kein Kinderschänder. Hatte Rui es jemandem verraten? Seiner Großmutter? Und seine Eltern – wo waren sie? Was war der nächste Schritt? Nick hatte das beunruhigende Gefühl, erst vor kurzem in einer sehr ähnlichen Situation gesteckt zu haben, aber ihm fiel nicht ein, was es gewesen war.
Worauf er sich mit einem weiteren Problem beschäftigte: Wenn er sich nicht an Kindesmissbrauch in Reasoners Vergangenheit erinnern konnte, entsprach das dann der Wahrheit? Das verlorene Wochenende war verschwunden, aber existierten noch weitere Lücken? Wie zum Beispiel? Nick ging nach oben in sein Büro, schaltete das Licht ein, öffnete Aktenschränke, fand seine alten Notizbücher, die bis zum Fall Reasoner
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