Ausradiert: Thriller (German Edition)
abwehrenden Bewegung seiner rechten Hand, die dieses Mal heftiger ausfiel. Heftiger, aber nicht viel. Seine Hand, eigentlich nur die Fingerknöchel, stieß gegen Petrovs Stirn, zwei Zentimeter über dem linken Auge. Gar nicht fest.
Petrovs Vorschullehrerin Miss Michaels hatte in seinem Bewertungsbogen über seine »unersättliche Neugier« geschrieben. Außerdem erzählte sie seinem Vater am Elterntag diese Geschichte: Eines Morgens hatte sie mit der Klasse einen Phantasiespaziergang unternommen, einen Berg hinauf, über eine schmale Brücke, durch einen niedrigen Tunnel und so weiter. An einer Stelle hatte sie gemahnt: »Achtet auf die Pfütze, Kinder.« Und jeder außer Nikolai war außen herum gelaufen. Er marschierte direkt hindurch.
»Was ist mit der Pfütze, Nicky?«
»Ich habe Gummistiefel an.«
Er erinnerte sich an jenen Tag: seine früheste Erinnerung, bis der centgroße Kopfschmerz aufgetaucht war.
6
N iemand mochte Gejaule. Aber es ging immer weiter, bis Nick die Augen aufschlug und sich gegen die Tür gelehnt auf dem Beifahrersitz seines Wagens wiederfand. Und Rui war verschwunden. Die Fingerknöchel? Wie war das möglich?
Die Vorderpfoten auf der Kopfstütze, starrte der Hund auf ihn hinunter und gab eine Art Jaulen von sich, aus dem zunehmend Verzweiflung klang. Petrov stieg aus dem Wagen. Der Hund sprang hinterher, flitzte zu einem Kreosotbusch und hob das Bein.
Der östliche Himmel hatte die milchige Färbung kurz vor der Dämmerung, der Westen war noch dunkel. Petrov fühlte sich gut, keine Schmerzen, keine Spur von Kopfschmerzen, ganz im Gegenteil, warme, erfreuliche Empfindungen beherrschten seinen Verstand, pulsierten beinah darin. Alles in Ordnung mit ihm, und das Auto war noch da. Petrov wusste, wem er das zu verdanken hatte.
»Braver Junge.«
Der Hund, der noch immer pinkelte, wedelte unbeholfen mit dem Schwanz.
Petrov fand einen Schokoriegel im Handschuhfach, aß die Hälfte, hielt den Rest dem Hund hin. Der schlang ihn hinunter. Petrov zog sein Notizbuch heraus. Unter Bekannt fügte er Ruis Adresse hinzu: 1491 Rosetta Street, Glendale.
FRAGEN
7. Amanda und Rui – auf der Flucht? Vor was?
VERMUTUNGEN
6. Rui – wurde als Kind missbraucht.
Er dachte darüber nach, Liza und Amanda stritten sich, Nummer zwei unter Vermutungen, nach Bekannt zu verschieben, aber ließ es erst einmal. Flucht zu ihrem Großvater: Es war möglich, dass Amanda sich irgendwo im Trailer versteckt hatte, aber sein einziger Beweis war die Empty-Box-CD, nicht genug, um sicher zu sein. Noch etwas? Nur eins, es hatte nichts mit diesem Fall zu tun, oder mit irgendeinem Fall, aber er war neugierig.
ZU ERLEDIGEN
4. F. Kostelnik.
Die Dämmerung brach an, als Petrov auf den Parkplatz vor der Desert High School, Heimat der Rattlers, fuhr. Wilde Farben streiften den Himmel, dann stieg die Sonne ein wenig höher, und alles kam zur Ruhe. An einer Seite des Parkplatzes stand die Schule, ein niedriges wüstenfarbenes Gebäude, auf der anderen Seite lag der Footballplatz, das einzige Grün in Sichtweite, ein leuchtendes, gesundes Grün, das Grün von Footballplätzen in Olympia oder Eugene. Die Sprinkleranlage malte Regenbogen über die Fläche. Der Pulsschlag in Petrovs Gehirn änderte seinen Rhythmus, wurde schneller.
Die Sprinkler versiegten, die letzten Sprühnebel lösten sich auf und verschwanden. Die Tür eines Geräteschuppens am näheren Ende des Spielfelds sprang auf, und ein alter, leicht gebeugter Mann trat heraus, der einen Kreidewagen vor sich herschob. Petrov stieg aus dem Auto, das Foto von George Rummels Mannschaft unter den Arm geklemmt.
»Du bleibst im Wagen.«
Aber der Hund war schon draußen.
Petrov spürte die Hitze sofort, die bereits zunahm, ihn ein wenig benommen machte.
Hatte sie jemals diese Wirkung auf ihn gehabt? Nein. Vielleicht wurde er alt. Die Hitze, Nervenkrämpfe, zweimal bewusstlos geschlagen von einem hundertfünfzig Pfund leichten Junkie, was sonst konnte es sein? Es war zum Lachen.
Der alte Mann begann die Torlinie nachzuziehen. Er schaute auf, als Petrov die zehn Meter überquerte, das Gras unter seinen Füßen trocknete rasch.
»Kann ich helfen?«, fragte er. Die Sonne hatte rote Flecken auf seinen Schädel gebrannt, die durch seine weißen, weichen Haare schimmerten. Er bemerkte den Hund. »Der wird doch nicht auf meinen Platz pinkeln?«
»Bestimmt nicht«, erwiderte Petrov, obwohl die Chancen vermutlich eher schlecht standen. »Wie ist die
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