Ausradiert: Thriller (German Edition)
Schritte seines Verfolgers draußen vorbeiliefen, um dann zu seinem Platz zurückzukehren und sich prächtig zu amüsieren. War Rui so, besonders gerissen? Nick schnupperte, roch etwas Menschliches, möglicherweise ungewaschene Haare.
Nick drückte gegen die Tür. Sie gab einen Augenblick nach, dann schien sie zurückgedrückt zu werden. Er trat aus dem Weg. Die Tür schwang zu, und da war Rui, ohne jede Deckung. Er glitt an der Wand entlang, langte in seine Jacke, riss ein Springmesser mit Horngriff heraus, das in der Bewegung aufsprang.
Das hatte Nick nicht vorhergesehen. »Ganz ruhig, Rui«, sagte er. »Ich will nur reden.«
»Schlimme Dinge passieren, wenn wir reden«, sagte Rui. Das Gebäude um sie herum dröhnte; der Applaus brandete gedämpft durch die Wände. »Geh von der Tür weg.«
Nick rührte sich nicht. Rui kam auf ihn zu, das Messer vor sich, beschrieb mit der Klinge kleine Bögen. Wenn jemand ein Messer zückt, dachte Nick, sollte man am besten reagieren, während er es herauszieht. Diesen Zeitpunkt hatte er verpasst. Danach – pass auf, bleib innerlich ruhig, sei schnell. Die ersten beiden waren kein Problem. Er wartete darauf herauszufinden, wie es um Nummer drei stand.
Rui kam immer näher, die kleinen Bögen wurden größer. Nick stand im Eingang. Rui sprang nach vorn, zielte auf sein Gesicht. Nick sah es kommen, riss das Bein hoch, trat mit der Fußspitze hart gegen Ruis Handgelenk, bevor Rui die Bewegung ausführen konnte, zumindest glaubte er das. Aber Nicks rechter Fuß: so langsam, und aus irgendeinem Grund kam er nicht so hoch. Die Spitze von Ruis Messer glitt durch sein T-Shirt, von Brustwarze zu Brustwarze. Nick spürte keinen Schmerz, oder zumindest nicht stark, gerade genug, um seine Reflexe ein wenig zu schärfen. Als Rui die Hand zurückschwang, packte er dessen Handgelenk – Rui wusste nicht viel über Messerkämpfe; jetzt war der falsche Zeitpunkt für großartiges Ausholen, man durfte nur kurz und tödlich zustoßen – und knallte es gegen das Waschbecken, gegen das sie stürzten. Sie rollten über den Boden, Nick bog Ruis dünnes Handgelenk zurück und verdrehte es mit beiden Händen. Aber nur die linke Hand tat wirklich etwas, und ganz plötzlich verspürte Nick einen Schnitt an anderer Stelle, und Rui war frei.
Frei, wutentbrannt, schrill: »Ich hab es verdammt satt, dass du mir weh tust.«
Nick unter den Waschbecken, Rui auf den Knien; rutschte auf ihn zu, stach wild auf ihn ein, außer Kontrolle. Dann spürte Nick, wie etwas gegen seine Hüfte drückte, etwas, an das er sofort hätte denken müssen: der kleine Colt Kaliber 38. Er zog ihn aus der Tasche, richtete ihn auf Ruis Stirn, stellte sich das rote Kastenmal vor, das darauf wartete zu erblühen.
Rui hätte sich das auch vorstellen, hätte erstarren müssen. Stattdessen sprang er auf, rannte quer durch den Raum, trat ein Fenster ein und zwängte sich hindurch.
Nick stand auf, lief hinter ihm her. Vom Fenster aus sah er Rui auf dem Weg die Feuertreppe hinunter, drei Stock über einer unbeleuchteten Gasse. Nick trat hinaus. Rui war bereits einen Absatz unter ihm, lief um die Biegung zum nächsten Abschnitt. »Bleib stehen«, rief Nick.
Rui sah nach oben, warf das Messer nach Nick, beschleunigte. Drei Aktionen, beinah simultan: Das war zu viel für Rui. Sein Fuß verfing sich in den Gitterstufen, wirbelte ihn gegen das Geländer. Kein sehr hohes Geländer, und sein rechter Arm schwang nach, destabilisierte ihn noch weiter. Das Geländer erwischte ihn hinten an den Beinen, in Höhe der Oberschenkel, riss seinen Oberkörper nach hinten. Einen Augenblick hing er fast reglos dort draußen, krängend wie ein Matrose im Sturm, dann stürzte er ab. Rui drehte sich nicht, machte keine windmühlenartigen Dreschbewegungen, fiel einfach gerade nach unten, mit dem Rücken zuerst, Arme und Beine von sich gestreckt, als würde unter ihm ein Trampolin warten. Welches Geräusch auch immer seinen Aufprall begleitete, wurde erstickt von der Musik von Empty Box, die durch die Theatermauern drang.
Nick hastete die Feuertreppe hinunter, entriegelte den letzten Absatz und ließ ihn zu Boden, stieg hinunter. Rui lag auf dem Rücken in einem Keil aus Licht, das von der nächsten Straße herüberdrang. Nick kniete sich neben ihn, entdeckte kein Blut, keine verdrehten Glieder in unmöglicher Stellung, keine Schrammen. Rui funkelte ihn wütend an.
»Alles in Ordnung?«, fragte Nick.
Rui atmete flach. »Ich krieg keine Luft«, sagte
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