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Ausradiert: Thriller (German Edition)

Ausradiert: Thriller (German Edition)

Titel: Ausradiert: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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hinunter, um sich zu vergewissern, dass der Balkon außer Reichweite war.
    Er musterte die Gesichter. Rui? Amanda? Sie konnten jeder dieser Leute sein, das Mädchen mit den türkisen Haaren unten auf der Tanzfläche, der picklige Junge mit dem rot-weiß geringelten Riesenzylinder drei Reihen hinter ihm, das Mädchen im langen weißen Kleid, das unten im Gang tanzte, obwohl die Musik noch nicht begonnen hatte, der knochige Mann mit den tätowierten Unterarmen drei Sitze weiter. Wie sollte er sie erkennen? Und wären sie so durchgeknallt, hierherzukommen? Alle, tausend oder mehr, sahen durchgeknallt aus.
    Die Lichter erloschen. Die Menge jubelte. Ein Scheinwerferkegel war auf die Bühne gerichtet, und ein Zwerg im Anzug trat in den Lichtkreis. »Meine Damen und Herren«, sagte er, »und alle dazwischen – Empty Box.«
    Der Vorhang teilte sich, enthüllte eine sechsköpfige Band. Der Akustikgitarrist spielte bereits leise, und der Jubel, der sich zu einem Kreischen gesteigert hatte, erstarb fast sofort. Leise, aber wunderbar gespielt, und mit Gefühl: eine hübsche kleine Melodie, die das Theater mit Unschuld erfüllte, eine Melodie, die Nick an etwas erinnerte, aber an was?
    Zwei elektrische Gitarren fielen ein, produzierten summende und dröhnende Geräusche, wie kreisende Raubvögel, die alle in Erregung versetzten, auch Nick. Die Sängerin, eine Frau am Keyboard, ihr Unterleib in ständiger Bewegung, ihr Oberkörper beinah starr, begann aus vollem Hals zu singen, traf aber jede Note mit absoluter Präzision.
    And you don’t even know
    what’s buried in your yard
    Retard.
    Der Akustikgitarrist sang die Begleitung – retard, retard, in your yard  – mit einer Stimme, äußerlich so lieblich wie die eines Chorknaben und böse im Kern. Sie waren großartig. Nick beugte sich über das Geländer, als die Frau am Keyboard durch ein Solo raste, das in ihm ein Bild perlender Nägel erzeugte. Der Typ drei Sitze weiter, der knochige mit den Stacheldrahttätowierungen, die sich um seine Unterarme ringelten, beugte sich in fast schon gefährlicher Weise ebenfalls nach vorn. Er und Nick sahen sich gleichzeitig an, zwei Musikliebhaber mit demselben Geschmack. Als ihre Blicke sich trafen, schoss Nick aus heiterem Himmel ein Gedanke durch den Kopf: 313 Coursin Street ist wichtig. Oder vielleicht nicht aus heiterem Himmel, vielleicht erinnerte ihn der Stacheldraht an Gefängnis, Gefängnis an den Todestrakt, Todestrakt an Reasoner.
    Der Mann, sein Musikliebhabergenosse, hatte ein seltsames Gesicht, der untere Teil weich, zart geformt, wie bei einem Kind, der Rest hart und viel älter wirkend. Nick hielt ihm die nach oben gereckten Daumen entgegen. Der Mann riss die Augen auf. Er sprang auf, drängte sich durch die Sitzreihe, stolperte den Gang hinunter. Blutete Nicks Nase wieder, ein möglicherweise abstoßendes Spektakel? Er wischte mit dem Ärmel darüber. Nichts. Kein einziger Tropfen. Er wandte sich wieder der Bühne zu. Der Akustikgitarrist beugte sich über das Keyboard, teilte sich inzwischen das Mikro mit der Sängerin, sang sanft mit seiner bösen Stimme. Nick schaute hinüber zu dem leeren Platz, fragte sich, warum der knochige Mann so plötzlich verschwunden war, und dachte, vielleicht hat das Handy in seiner Tasche vibriert oder seine Blase war voll, und dann, viel zu spät: Er hat mich erkannt: Rui.
    Nick stand auf und rannte den Gang hinunter zum Ausgang – rannte nicht eigentlich, aber bewegte sich in einem Tempo, das er als schnell einschätzte – und in den mit rotem Teppich ausgelegten Korridor. Er schaute sich um, entdeckte niemanden, spürte, wie das Gebäude von der Musik vibrierte. Nick lief zu der Treppe, die in die Eingangshalle führte, kam auf dem Weg an der Herrentoilette vorbei. Er zögerte. Gehörte Rui zu den gerissenen Typen, die es mit einem Trick versuchten, wenn der richtige Schachzug simple Flucht war? Nick wusste nur, dass Rui sich als Detektiv bezeichnete, aber nicht im Geringsten wie einer der Polizisten wirkte, die er in seinem Leben kennengelernt hatte, nicht einmal dem am besten getarnten Rauschgiftfahnder. Er öffnete die Tür zur Herrentoilette.
    Leer. Niemand an den Urinalen, die Türen der Kabinen standen weit offen, alle unbesetzt. Nick wollte gerade wieder hinausgehen, als ihm einfiel, dass ein besonders gerissener Typ, der das Konzert nur ungern schon bei der ersten Nummer verlassen wollte, hinter der Tür der Herrentoilette lauern mochte, wo er darauf wartete, dass die

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