Ausradiert: Thriller (German Edition)
er. »Deine Schuld.«
»Nicht bewegen«, sagte Nick und zog sein Handy heraus. »Ich rufe einen Krankenwagen.«
»Scheiß drauf«, sagte Rui.
Nick rief trotzdem den Notruf an. Rui kam langsam wieder zu Atem.
»Weißt du, was mich echt aufbringt?«, fragte er. »Wie blöd du bist, ich meine in echt.«
»Wovon redest du?«
»Im Film warst du viel schlauer.«
»Lieg ruhig.«
»Amanda und ich haben ihn neulich gesehen.«
»Wo ist sie?«
»In Sicherheit. Du bist zu blöd, sie zu finden, das ist mal sicher.«
»Was hab ich nicht mitgekriegt?«
»Hast du überhaupt was mitgekriegt, du dummer Scheißkerl? Zuerst dachte ich, du hilfst denen beim Vertuschen, aber dazu fehlt dir das Hirn.«
»Welches Vertuschen?«
Rui lachte, ein kurzes, brutales Bellen. »Mach dir keine Gedanken«, sagte er. »Sechs von sieben ist gar nicht so schlecht.«
»Sechs von sieben was?«
»Scheiße noch mal«, sagte Rui. »Sieh dir einfach den Film an.«
»Der Fall Reasoner?«
»Puh.«
Rui sah ihn voller Verachtung an. »Was ist am dreiundzwanzigsten August passiert?«, fragte Nick. »Als du Amanda bei dem Empty-Box-Konzert getroffen hast?«
»Schicksal, Mann. Das wichtigste Datum der Menschheitsgeschichte. Wir sind unserem Schicksal begegnet.«
Die beiden Bergleute, die sich tief unten trafen. »Sie hat dir erzählt, wer ihre leibliche Mutter war?«, fragte Nick.
»So langsam, dass es weh tut«, spottete Rui.
»Und ihre leibliche Mutter war Lara Deems.«
»Einstein«, rief Rui. »Hilf mir mal.«
»Nicht bewegen«, befahl Nick. Er erinnerte sich an die Hallmark-Karte. »Ich verstehe nicht, wobei ihr euch helft.«
»Mach deine Arbeit, Mann.«
»Wie meinst du das?«
»Gerechtigkeit.«
»Für den Mörder ihrer Mutter?«, fragte Nick. »Reasoner sitzt in der Todeszelle, und was immer auch geschieht, er wird nie mehr freikommen.«
»Sechs von sieben.«
»Was bedeutet das?«
»Schmerzhaft«, sagte Rui. »Du bist in meinem Scheiß-Haus gewesen und kommst trotzdem nicht drauf.«
Ruis Haus? Nick hatte keinen Schimmer.
»Du willst mir doch nicht erzählen«, fuhr Rui fort, »dass du das Haus dahinter nicht bemerkt hast. Drei dreizehn Coursin Street, du Schwachkopf. Nimm dir mal den Keller vor.«
»Was ist dort?«
»Noch eine blöde gottverdammte Frage. Gib mir deine Hand.«
»Du wartest auf den Krankenwagen.«
»Ich brauch keinen Krankenwagen.«
Nick streckte die linke Hand aus. Rui zog, erhob sich mit einem tiefen Grunzen. »Es geht nicht um das, was jetzt dort ist – inzwischen andere Leute, um Himmels willen. Die Zeit vergeht. Es geht darum, was damals dort unten passierte, mit Onkel Jerry.«
»Er ist dein Onkel?«
»Maden sind keine Onkel. Er ist niemandes gottverdammter Onkel.«
Ihre Blicke trafen sich. Der Ausdruck in Ruis Augen, selbst das Licht: Nick hatte ihn schon einmal gesehen, auch wenn er sich an das Wo und Wann nicht mehr erinnern konnte. Doch dieser Ausdruck in Ruis Augen – in ihm war etwas zerstört worden. Nicks Verstand, so langsam wie Rui behauptet hatte, entdeckte endlich den Pfad: »Hat er dich im Keller belästigt?«, fragte Nick. »Ist es das?«
Ein langes Schweigen folgte. Tränen stiegen Rui in die Augen. »Ist es Belästigung, wenn man einem elfjährigen Kind Gras gibt, damit es dir einen bläst? Ist es Belästigung, wenn man seinen Schwanz in den Arsch eines Kindes steckt? Ist es Belästigung, wenn man auf die Bibel schwört, das Kind umzubringen, wenn es petzt?«
Nick legte seine Hand auf Ruis Schulter. Rui schüttelte sie mit einem zornigen Ruck ab. »Spar dir dein Mitleid«, sagte er. »Es wird mich reich machen.«
»Wie?«, fragte Nick.
»Du bist derjenige, den man bemitleiden sollte«, sagte Rui, ein Tropfen Blut trat in seinen Mundwinkel. »Muss ich es dir buchstabieren?«
»Ja.«
»Scheißhoffnungslos«, sagte Rui. »Versuch dich zu konzentrieren. In der Nacht, in der Lara Deems ermordet wurde, war ich bei Onkel Jerry im Keller. Die ganze beschissene Nacht lang. Sechs von sieben. Wieso bist du so –«
Kein nächstes Wort. Stattdessen erklang ein leises Gurgeln, und dann strömte das Blut, eine Fontäne, dunkelstes Dunkelrot im schwachen Licht. Rui sank auf ein Knie, sah zu Nick auf, der Zorn in seinen Augen verwandelte sich in Verwirrung; und dann nichts.
Er fiel auf sein Gesicht. Der Krankenwagen brachte ihn fort, ohne gellende Sirene, ohne Blaulicht.
26
Q uer über Nicks Brust ein Schnitt, eigentlich nur ein Kratzer. Petrov hätte ihn gar nicht groß beachtet; Nick
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