Außer Atem - Panic Snap
füllt sich das Glas noch einmal und setzt sich. Diesmal trinkt er langsam und sieht mir beim Unkrautjäten zu.
Nach einer Weile gehe ich hinüber und setze mich zu ihm an den Tisch. Er sieht mich neugierig an – ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat –, dann lehnt er sich zurück. Wir sitzen schweigend beisammen. Der Garten quillt über vor Farben und Blumen, die jetzt fast alle voll erblüht sind – orangefarbener Mohn und blaue Lupinen, hohe Iris, samtige Stiefmütterchen, gelbe und rote Rosen, purpurfarbene Bougainvilleen. Da es keine trennenden Zäune gibt, kann der Blick ungehindert bis zum südlichen Rand des kleinen McGuane-Tals schweifen, von den Obst- und Gemüsegärten bis zu dem Rasenstück vor Ginas Cottage und weiter bis zu den Weinpflanzungen auf den weiter entfernten weichen Hügeln.
Unvermittelt wendet James sich mir zu und sagt: »Sie waren gestern Abend bei meinem Haus.« Er beobachtet mich, wartet auf eine Antwort. »Gina hat es mir erzählt.«
Ich spüre, wie sich mein Herzschlag beschleunigt und mein Puls zu rasen beginnt.
»Warum waren Sie da?«
Ich zögere und frage mich, wie viel Gina ihm gesagt hat. »Mein Wagen ist bei der Kellerei liegen geblieben«, erkläre ich schließlich. »Ich bin zu Ihrem Haus gegangen, um Hilfe zu holen.«
Er neigt den Kopf ein wenig zur Seite, während er mir zuhört. Er füllt den Sessel komplett aus, hat die Beine gespreizt und die Hände auf die Oberschenkel gelegt. Als ich innehalte, fragt er weiter: »Und dann?«
Ich zögere noch immer, spüre, dass ich mich auf gefährlichem Terrain bewege. Hat Gina mich bei seinem Haus beobachtet oder nicht? Ich greife nach dem Krug mit Eistee, gieße mir ein Glas voll, trinke einen Schluck und beschließe, keine Lüge zu riskieren. »Ich wollte schon klopfen, aber...«
Er wartet. Als ich schweige, hakt er nach: »Aber?«
»Ich habe Sie gesehen«, sage ich, halte inne und füge hinzu: »Und die Frau auch.«
Er erwidert nichts, und in der Stille höre ich das Summen eines Insekts, das entfernte Brummen von Maschinen und das Tschilpen der Vögel in den Bäumen. Die Geräusche kommen mir laut vor, so als seien sie eigens dazu da, die spannungsgeladene Stille zu überbrücken.
Doch James scheint überhaupt nicht unwohl zu sein. Er schenkt sich nach, nippt an seinem Glas und sieht mich über den Rand hinweg leicht amüsiert an. Trotz des T-Shirts sehe ich ihn so, wie er in der vergangenen Nacht ausgesehen hat – mit nackter, im Kerzenlicht golden schimmernder Haut, mit Muskeln, die sich anspannten, als er die schwarze Lederpeitsche schwang und eine Frau schlug, die an dem Schmerz Gefallen zu finden schien. Ungebeten steigt Erregung in mir auf.
Er macht Anstalten, sich zu erheben.
»Ich möchte, dass Sie das auch mit mir machen«, sage ich plötzlich zu meiner eigenen Überraschung. Ich setze an, ihm zu erklären, dass ich das nicht so gemeint habe, doch dann halte ich inne. Ich
habe
es so gemeint. Das ist genau das, was ich will. Mein Herz rast beim bloßen Gedanken an die Schmerzen – ich weiß, dass ich sie nicht gut ertragen werde, jedenfalls längst nicht so gut wie die Frau letzte Nacht.
»Ich möchte, dass Sie mir wehtun«, sage ich und spüre, wie mein Gesicht heiß wird. »So, wie Sie ihr wehgetan haben.«
Er sieht mich unverwandt an. Seine Augen sind genauso gelbgrün wie Ginas. Sie haben die Farbe reifer Limonen. Langsam kommt er um den Tisch herum. Er legt mir eine Hand auf die Schulter. »Sie wissen nicht, was Sie da verlangen«, sagt er sanft. »Sie haben ja keine Ahnung.« Dann nimmt er die Hand weg.
»Vergessen Sie es«, sagt er und geht.
Doch ich vergesse es nicht. Den ganzen Tag über – während James in der Kellerei Wein von Eichenfässern in Edelstahltanks umfüllt, während Gina in den Pflanzungen das Ausdünnen der Blätter überwacht –, den ganzen Tag über denke ich an kaum etwas anderes, und während ich das Abendessen vorbereite, schmiede ich einen Plan.
Ein Schwall heißer Luft schlägt mir entgegen, als ich die Herdklappe öffne. Ich greife mir ein Handtuch, hole den Rhabarberkuchen aus dem Ofen – der Rhabarber ist frisch aus dem Garten – und stelle ihn zum Abkühlen auf den Tresen.
Anschließend gehe ich ins Bad, spritze mir kaltes Wasser übers Gesicht und trockne mich ab. Aber ich vermeide es, in den Spiegel zu sehen, ich habe ein Problem mit Spiegeln. Ich weiß, dass die Narben in meinem Gesicht mehr eingebildet als wirklich sind, doch wenn ich in einen Spiegel
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