Außer Atem - Panic Snap
wird, was meine Vergangenheit angeht. Eigentlich wollte ich seinen Aktenschrank durchsehen, aber ich habe mich dagegen entschieden – zu riskant, wenn er bald nach Hause kommt – und bin nach oben gegangen.
Das Dachgeschoss ist so, wie ich es in Erinnerung habe – rechts das mit Backsteinen abgeteilte Badezimmer, links der Schlafbereich und in der Mitte das unordentliche Atelier und der gemauerte Kamin. Die Vorhänge an dem großen Fenster sind zugezogen, also gehe ich zu der Kommode hinüber und schalte eine Lampe an. Das Atelier ist der einzige unaufgeräumte Ort in seinem Haus. Überall stehen Leinwände herum – sie lehnen am Tisch, versperren den schmalen Durchgang zur Badezimmertür, stehen an der Backsteinwand, an der Balustrade. Farbflecken bedecken die Staffelei, die jetzt leer ist, und auf dem Tisch herrscht dasselbe Durcheinander wie neulich – zerdrückte Farbtuben, ein paar Bleistiftzeichnungen, Pinsel in verschiedenen Stärken, von denen einige zum Einweichen in mit einer Flüssigkeit gefüllten Gläsern stehen. Ich habe das Gefühl, dass etwas fehlt, und dann erinnere ich mich an das schwarze Ledergeschirr. Der Flaschenzug ist noch an Ort und Stelle, doch jetzt baumelt ein harmlos aussehender Sessel aus dunklem Rattangeflecht und mit burgunderfarbenen Plüschkissen daran, ein Möbelstück, das aus jedem beliebigen Haushalt stammen konnte.
Ich sehe die Leinwände durch, die an der Backsteinwand lehnen. Alle ähneln vom Motiv her denen, die unten an den Wänden hängen – es sind dunkle, berunruhigende Darstellungen von Gewalt, und jedes ist mit seinen Initialien – J. McG – signiert. Ich gehe weiter und sehe die Bilder durch, die an der Holzbalustrade stehen, und danach die Bilder am Tisch. Ich will mich schon von den Bildern ab- und den Schubladen seines Schranks zuwenden, als ich hinter einer Kommode weitere Bilder entdecke. Ich ziehe sie hervor und sehe sie schnell durch. Auch sie sind düster. Doch dann entdecke ich ein Bild, das sich deutlich von allen anderen unterscheidet; es ist das einzige Porträt eines jungen Mädchens.
Aufgeregt ziehe ich es heraus, um es mir genauer anzusehen. Das Mädchen ist klein, wie ich, und hat langes schwarzes Haar – auch mein Haar war schwarz, als ich aus dem Koma aufwachte, es war einfach gefärbt. Sie sitzt an einem Terrassentisch aus Holz, und im Hintergrund ist ein mit Rebstöcken bepflanzter Streifen Land zu sehen. Ihre Haut ist blass, und wie sie so dasitzt, leicht geduckt, hat sie etwas Verletzliches an sich, so als sei sie von etwas aus der Fassung gebracht worden. Ihr Gesicht aber... ihr Gesicht erschreckt mich. Es sieht grotesk aus, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, ihr Mund ist rot und zu einem wütenden Flunsch verzogen, ihre Augen sind schmale zornige Schlitze.
Das Bild ist schlicht und einfach nutzlos für mich. Niemand könnte sich eine realistische Vorstellung von dem Mädchen machen, das dafür Modell gesessen hat. Die Gestalt ist zu deformiert, zu abstrakt. Doch meine Entdeckung erregt mich trotzdem. Dieses Mädchen muss ich gewesen sein.
Als ich höre, dass sich die Tür unten öffnet, schiebe ich die Bilder schnell wieder hinter die Kommode und gehe zur Balustrade. Ich sehe James an der offenen Tür stehen; er bückt sich und wischt Schmutz vom Aufschlag eines Hosenbeins. Ein Windstoß fährt ihm ins Haar und weht es zur Seite. Hinter ihm sehe ich den Himmel, der von einem herrlichen Blau und nahezu wolkenlos war, als ich herkam. Jetzt ist er dunkelgrau und bezogen. James trägt noch die selben Sachen, schwarze Hose, Sportjackett, dunkelblaues Hemd.
»Ich bin hier oben«, rufe ich.
Er hebt den Kopf und schaut in meine Richtung. Ein ärgerlicher Ausdruck huscht über sein Gesicht. Er schließt die Tür.
Ich sage: »Du hast geschrieben, dass ich es mir bequem machen soll.«
Er kommt die Treppe herauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und fährt sich mit einer Hand ordnend durchs Haar. Oben angelangt, hält er nur kurz inne, sieht sich im Dachgeschoss um und kommt zu mir hinüber.
»Ich habe mir deine Bilder angesehen«, sage ich. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«
Er bleibt dicht vor mir stehen, und wieder einmal wird mir bewusst, wieviel größer als ich er ist. Er überragt mich, und sein Körper ist wie ein Schild, der das Licht der Lampe abschirmt. Unwillkürlich weiche ich einen Schritt zurück und fühle die Balustrade hinter mir. Ich sehe hinunter – ein Sturz aus ziemlicher Höhe, wie der, den ich nach
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