Außer Atem - Panic Snap
kaum geschlossen, als Gina schon den Weg hinunter fährt, ums Haus herum und dann auf der Hauptstraße weiter zu einem der Weingärten. Mit einer scharfen Rechtsbiegung schwenkt sie zwischen zwei Reihen von Rebstöcken ein. Sie fährt schnell, und die Rebstöcke fliegen wie grüne Schleier vorbei. Am Ende der Reihe biegt sie in einen tief zerfurchten Sandweg ein, der sich bis zu einer Hügelkuppe windet. Hier fährt sie langsamer, doch ich halte mich noch immer an der Tür und am Armaturenbrett fest und wünsche, ich hätte mich angeschnallt, denn ich spüre jeden Stoß und jedes Holpern, während der Lieferwagen dahinrattert und eine braune Staubwolke hinter uns aufwirbelt.
Oben auf dem Hügel hält sie im Schatten einer alten Eiche an, von wo aus man das gesamte Anwesen der McGuanes überblicken kann, und macht den Motor aus. Der Staub setzt sich, und es ist so still, dass ich das leise Summen von Insekten höre. Lange, zarte Fäden hängen wie spanisches Moos von der Eiche herab – doch mittlerweile habe ich vom Gärtner erfahren, dass es sich hier nicht um spanisches Moos handelt, sondern um Flechten. Gina, die die Hand wieder locker aufs Lenkrad gelegt hat, schaut hinunter in das kleine Tal und auf die ausgerollte Patchworkdecke von Weingärten. Ich warte darauf, das sie zu sprechen beginnt, doch sie schweigt.
Ich gedulde mich. James und ich haben niemanden von unserem Verhältnis erzählt. Wir haben das nicht besprochen, nicht vereinbart, dass wir unsere Verbindung geheim halten wollen, es hat sich so ergeben. Wir zeigen uns nicht Händchen haltend in der Öffentlichkeit, wir küssen uns nicht, wir benehmen uns generell nicht so, als hätte sich irgendwas verändert. Das erscheint uns passender, denn wir haben weder eine Liebesbeziehung noch eine Affäre – und was uns verbindet, kann anderen Menschen nicht anvertraut werden.
Ich sehe zu Gina hinüber, die noch immer durch die Windschutzscheibe starrt. Ich glaube zwar nicht, dass er es ihr erzählt hat, doch ganz sicher bin ich nicht. Manchmal habe ich gemerkt, wie ihr Blick zwischen uns beiden hin und her wanderte, so als hätte sie irgendwelche Vermutungen, doch sie hat nie etwas gesagt. Sie behält ihre Vermutungen für sich. Ein großer, glänzend schwarzer Vogel stößt einen heiseren Schrei aus.
Schließlich sagt Gina, weiterhin aus dem Fenster schauend: »Dieses Anwesen gehört meiner Familie schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Ich bin hier aufgewachsen, habe meinem Vater geholfen, den Betrieb zu vergrößern und die Produktion zu steigern. Wir haben hier im Napa Valley eine einmalige Lage. Wir haben verschiedene Mikroklimata auf unserem Anwesen.«
Sie sieht mich an, bemerkt meine verständnislose Miene und erklärt geduldig: »Die verschiedenen Rebsorten wachsen auf bestimmten Gebieten besser als auf anderen. Hier auf Byblos gibt es sechs verschiedene Böden, und wir haben in den verschiedenen Weingärten sogar unterschiedliche Klimabedingungen. Die Trauben werden von allem Möglichen beeinflusst – vom Boden, vom Gefälle des Hangs, von der Bewässerung, dem Sonnenlicht, dem Regen, der Temperatur, dem Wind und tausend anderen Faktoren. Die Franzosen nennen die natürlichen Bedingungen eines bestimmten Ortes, die der Traube ihren charakteristischen Geschmack verleihen,
terroir.
Wegen unserer verschiedenen Mikroklimata schmeckt ein Cabernet von einem Südhang anders als einer, der auf der Ebene direkt daneben gewachsen ist.«
Überrascht höre ich mir ihren kleinen Diskurs an.
»Wir haben in all den Jahren«, fährt sie fort, »hart daran gearbeitet, dass unsere Weine von den Produkten der anderen Kellereien deutlich zu unterscheiden sind, und dabei ging es uns immer eher um die Verbesserung der Qualität als um die Steigerung der Produktion. Wir produzieren hier großartige Weine, doch das ist keine leichte Arbeit. Wie überall in der Landwirtschaft sind auch wir vom Wetter abhängig. Wenn wir im Frühjahr Frost bekommen, können die neuen Knospen erfrieren. Wenn wir vor der Lese zu früh Regen haben, können die Trauben nicht ausreifen, oder sie saugen sich so voll Wasser, dass ihr Geschmack verwässert.«
Sie schaut über die Weingärten hinweg, über das kleine schüsselartige Tal, in dem das Anwesen der McGuanes liegt. Ruhig sagt sie: »Der Traubenanbau... erfordert mehr als den bloßen Einsatz modernster Anbau- und Weinproduktions-Technologien. Weinbauern sind wie Eltern. Sie sorgen sich ständig, hegen und pflegen und wollen
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