Außer Atem - Panic Snap
Weinbauern, doch sie sind auch etwas, was ich bisher nicht verstanden habe. Sie sind auch Bauern, fest verwurzelt mit dem Land und belastet mit den ständigen Sorgen aller Bauern über unpassenden Regen, Frühlingsfröste, Dürreperioden, Schädlingsbefall und Verbiss und unzählige andere Faktoren, die die Ernte beeinträchtigen können. Vorher nahm ich nur die Vergünstigungen wahr, mit denen sie aufgewachsen sind: die Partys, das Amüsement, den Luxus von Geschäftsreisen. Jetzt erst sehe ich ihren täglichen Kampf und die langen Stunden, die sie in der Weinkellerei und in den Weingärten verbringen und auch ihre Sorge um das Land.
»Gehst du mal wieder spazieren?«
Ich höre James' Stimme, noch ehe ich ihn sehe. Ich drehe mich um. Er steht auf der anderen Seite des Spaliers in der nächsten Reihe und trägt ein graues T-Shirt – grau wie ein Schlachtschiff, fällt mir ein –, das wie eine zweite Haut auf seiner Brust liegt. Sein goldblondes Haar leuchtet in der Sonne, und ich erinnere mich daran, als ich ihn zum ersten Mal im
Weinanzeiger
gesehen habe, ein Foto, das im Herbst aufgenommen worden war, als die Blätter sich schon verfärbt hatten. Ich war fasziniert von diesem Foto – und von seiner privilegierten Gelassenheit, seiner augenfälligen Selbstsicherheit. Er war ein eindrucksvoller Anblick, groß, gebräunt und kräftig. Er hat sich nicht geändert.
»Ja«, sage ich und wundere mich, dass ich seine Schritte nicht gehört habe. Er muss Gina und mich beobachtet und sich leise genähert haben.
Er blinzelt ins Sonnenlicht und schirmt seine Augen ab. »Worüber habt ihr euch unterhalten?«
Ich zucke die Achseln. »Über nichts Besonderes«, sage ich.
Er greift über das Spalier hinweg – eine Bewegung, die so schnell und unerwartet ist, dass ich keine Zeit zum Reagieren habe – und packt mich. Ich schreie leise und überrascht auf. Er zerrt mich näher zu sich und gegen die Rebstöcke und die Plastikschläuche der Bewässerungsanlage. Blätter pressen sich mir ins Gesicht und an meine Arme. Und ich fühle Weintrauben an meinem Bauch.
»Hüte dich vor Gina«, sagt er.
Dann beugt er sich vor und küsst mich mit einer weiteren plötzlichen Bewegung auf den Mund, was mich wieder überrascht. Nachdem er meine Arme losgelassen hat, tritt er einen Schritt zurück und sieht mich an, als wolle er noch etwas sagen. Doch das lässt er dann. Er dreht sich um und geht zwischen den Rebstöcken davon, bis er Gina einholt. Sie sind beide imponierende Riesen, die die Rebstöcke überragen – und deren Blutsbande nicht zu übersehen sind. Er schiebt seinen Arm unter ihren.
Heute Nacht folge ich James die Wendeltreppe hinauf. Das diffuse Licht des Mondes, der durch das Bogenfenster fällt, taucht das Dachgeschoss in dunkelgraue Schatten. James' vom Mondlicht schwach beleuchtetes Gesicht ist nur ein verschwommenes Profil, in dem die Augen in den Höhlen spukhaft aussehen. Er geht ins Atelier hinüber, schaltet eine Lampe an und hebt dann den herabhängenden Rattansessel – den mit den weinroten Plüschkissen – vom Haken herunter. Die lange Kette baumelt nun leer hin und her. Er stellt den Sessel beiseite, geht zu dem großen Bogenfenster hinüber und schließt die Vorhänge. Besorgt bleibe ich bei der Treppe stehen und sehe ihm zu. Er sagte, dass ich eine weitere Lektion zu erlernen, einen weiteren Schritt auf unserer Reise zu gehen hätte.
Er verstellt die Kette, die von den Dachsparren herabhängt. Er kürzt sie, befestigt einen Panikverschluss daran und hängt danach eine Metall-und-Leder-Vorrichtung an den Haken. Es ist eine andere Vorrichtung als die Ledergeschirre, die er bisher verwendet hat und nicht so kompliziert. Oben befindet sich eine Metallstange, und an dieser wiederum hängen zwei breite schwarze Lederstreifen wie Schlaufen an mehreren Klammern. Weitere Klammern sind an den Riemen an verschiedenen Stellen befestigt.
»Hast du das mit Anna benutzt?«, frage ich.
Er beugt sich herab, hebt etwas vom Boden auf und stopft es sich in die Jeanstasche, die davon ausgebeult wird. Als er sich umdreht, sieht er mich noch immer an der Treppe stehen. »Nein«, sagt er, »nie.«
Ich will ihn fragen, warum nicht, doch er erahnt meine Frage. »Sie war dafür nicht zu haben«, sagt er. »Im Gegensatz zu dir.«
Im Raum ist alles still. »Du hast gar keine Fotos von ihr«, sage ich.
Er wirft mir einen berechnenden Blick zu und lächelt dann langsam. »Du meinst, dass ich keine Fotos habe außer denen, die du
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