Ausser Dienst - Eine Bilanz
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Die politische Kultur der Demokratie, der Gewaltenteilung und des Rechtsstaates ist nur sehr schwer zu verpflanzen. Wir vergessen gern, daß es in Europa und Nordamerika vieler Revolutionen und auch Bürgerkriege bedurfte, um Demokratie und Menschenrechte dauerhaft durchzusetzen. Wer Demokratie von Völkern und Staaten verlangt, die eine ganz andere Geschichte durchlaufen und eine ganz andere, meist oligarchische und jedenfalls autoritative Kultur des Regierens entwickelt haben, verkennt die unterschiedlichen Voraussetzungen. Wer gar mit Gewalt anderen Völkern Demokratie oktroyieren will, nimmt zwangsläufig Kriege in Kauf. Die Mehrzahl der Entwicklungsländer in Afrika, Asien (einschließlich des Mittleren Ostens) und Lateinamerika ist einstweilen nur autoritär regierbar – bestenfalls von einem vom Volk gewählten diktatorischen Präsidenten. Viele von ihnen stützen sich auf eine ihnen ergebene Armee. Solche Einsichten kann man allerdings kaum im Studium an einer amerikanischen oder europäischen Universität oder durch westliche Medien gewinnen; dazu muß man reisen und sich an Ort und Stelle persönlich ein Bild machen.
Unter den autoritär oder diktatorisch regierenden Präsidenten und Königen habe ich sehr verschiedene Charaktere getroffen. So war der innerhalb seines jugoslawischen Kunststaates durchaus rücksichtslose Machthaber Josip Broz Tito ein interessanter und urteilsfähiger Gesprächspartner, wenn es um Fragen der Weltpolitik ging, wobei er großen Abstand sowohl zu Moskau als auch zu Washington hielt. Sein ungarischer Nachbar János Kádár regierte in den siebziger Jahren mit vergleichsweise sanfter Hand; im Gespräch unter vier Augen empfand ich ihn ähnlich offen wie Tito, sein weltpolitischer Horizont war jedoch viel enger. Letzteres galt auch für den Polen Edward Gierek; er ist in polnischer Sicht heute mancherlei Kritik ausgesetzt, persönlich habe ich ihn aber als ehrlich und offen erlebt. Menschlich nicht unsympathisch, aber von begrenztem Horizont war auch der mächtige Leonid Breschnew. Während sein Vorgänger Nikita Chruschtschow vermutlich sehr autokratisch regierte, schien Breschnew stärker vom Konsens im inneren Zirkel des Politbüros abhängig.
Meine vielen Begegnungen mit kommunistischen Führern haben durchaus dazu beigetragen, daß ich mir ein realistisches Urteil über die Machtverhältnisse in ihrem Teil der Welt und über die zu erwartenden Veränderungen bilden und meine Eindrücke immer wieder ergänzen und korrigieren konnte. Erich Honecker erregte mehrfach beinahe mein Mitleid, weil er in allem von Moskau abhängig war, ohne daß er wissen konnte, welche Meinung sich in der sowjetischen Hauptstadt durchsetzen würde. Seine Gesprächsführung war deshalb von großer Vorsicht geprägt und somit unergiebig. Als ich ihn 1987 in Bonn das letzte Mal sprach, hatte er den von Gorbatschow ausgelösten gewaltigen Prozeß der inneren Veränderung der Sowjetunion überhaupt nicht verstanden. Er hielt Perestroika und Glasnost für einen bloßen »Tapetenwechsel«, das Gebäude würde nicht verändert. Honecker glaubte an den internationalen Kommunismus; er ist in seiner gesamten Regierungszeit ein typischer kommunistischer Funktionär geblieben, dem es nicht nur am eigenen Urteil mangelte, sondern auch an jedwedem Patriotismus. Immerhin muß man ihm die langen Zuchthausjahre während der Nazi-Zeit zugute halten.
Unter allen kommunistischen Führern, die ich näher kennengelernt habe, ragt der tatkräftige chinesische Patriot Deng Xiaoping weit heraus – wegen seiner Urteilskraft und zugleich wegen seiner inneren Gelassenheit. Deng redete im privaten Gespräch Klartext. Ich konnte mich darauf verlassen, daß alles, was er sagte, seiner wohlüberlegten inneren Überzeugung entsprach. Ich muß bekennen: Der Mann hat mir gefallen, er hat mir auch imponiert. Gewiß wurde China durch die Kommunistische Partei diktatorisch regiert, aber Deng führte die Partei kraft seiner persönlichen Autorität.
Ich habe China im letzten Vierteljahrhundert ein gutes Dutzend Male besucht, wenn auch fast immer nur für kurze Zeit. Aber ich habe begriffen: Manche unserer europäischen Maßstäbe können dort nicht angewandt werden. Die sich über mehrere Jahrtausende erstreckende chinesische Kultur hat ihre eigenen Gesetzlichkeiten entwickelt. Während alle anderen Großreiche der Weltgeschichte, alle anderen Hochkulturen längst verschwunden sind, entfaltet die chinesische Kultur, dank
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