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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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Linoleum, so blank gebohnert, dass Bett und Gerätschaften zu schwimmen schienen. Manke roch ein bisschen nach Rauch. Das beruhigte mich. Dass er solche Fehler machte, gerade er, der es doch besser wissen müsste.
    Wir drei waren Teilchen dieses Maschinenraums, dieser bis zum Äußersten getriebenen Technik der Lebensrettung. Einmal in Gang gesetzt, konnte niemand sie anhalten. Niemand wollte sie anhalten. Das Machbare musste gemacht werden.
    Einen Moment lang hoffte ich, die Kurve würde abbrechen, die Zahlen würden fallen.
    Nein, nicht!
    Später rief ich Erwin an, um die Projektleitung abzusagen. Ich wusste, er war auch sonntags im Büro. Eine Weile hörte ich nur seine Atemzüge, ich sah ihn seine Krawatte lockern, sich den Schweiß von der Stirn wischen. Ich bin sicher, sagte ich, Rolando macht das genauso gut, er war ja von Anfang an mit dabei. Ich sah Erwin die Augen theatralisch verdrehen. Es tue ihm natürlich leid, sagte er, da könne man wohl nichts machen.
    Allen tat es leid, das Leid. Leider ist geschehen, was geschehen ist. Es tut mir leid. Ich konnte das nicht mehr hören. Sie sind doch alle nur froh, nicht auf dem Schiff zu sein, das dabei ist unterzugehen. Wir aber, dummerweise, sind auf dem Schiff, nachts, irgendwo in einem arktischen Meer. Das Heck schon halb im Himmel, ich sitze auf der Reling, Sebastian hängt an meiner Hand. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich ihn nicht mehr halten kann. Bis das Schiff mit Mann und Maus in die Tiefe fährt. Noch lässt sich nicht sagen, ob einer von uns gerettet wird.
    Erwin, machs gut.
    Dachte, ich sollte doch Mutter anrufen. Ich rief Mutter an. Auch ihr tat leid, was geschehen war, sie schien aber gleich wieder zu vergessen, was geschehen war. Erzählte, sie sei dort und dort gewesen, diese Freundin und jenen Bekannten habe sie besucht. Keinen einzigen freien Abend letzte Woche. Ich solle Sebastian Effektive Mikroorganismen geben und sie werde mir ein Paket mit Bachblüten schicken. Kraut und Rüben. Mutter, sagte ich, Mutter! Und legte auf. Ich konnte das jetzt nicht, ich konnte das nicht aushalten. Dieses Geschwätz. Mutter, verdammt noch mal. Gleich rief sie wieder an. Liebes, sagte sie, es tut mir so leid, ich weiß auch nicht, es passiert einfach. Sie sagte, sie werde kommen, sie werde gleich schauen gehen, wann die Züge fahren. Erst wollte ich protestieren. Ach, lass. O.k., sagte ich, gut, aber erst nächste Woche, jetzt bin ich immer nur im Krankenhaus.
    Am fünften Tag bekam Sebastian Vasospasmen. Sie rollten ihn wieder in den Operationssaal, machten einen Luftröhrenschnitt, legten ein Tracheostoma. Sonst konnte man nichts tun. Warten, hoffen. Tag und Nacht saß ich an Sebastians Bett. Ich las ihm vor, ich legte ihm Kopfhörer um und spielte ihm Savall,
Tous les matins du Monde
vor. Diese Musik, dachte ich, kann nicht spurlos an ihm vorbeigehen. Klassisches ist auf jeden Fall besser als Rock, als Blues oder Jazz. Ich redete Zeugs, kreuz und quer. Ich sagte: Bastian, was ist eigentlich mit dem Einfamilienhaus in Teltow? Musst du da nicht endlich was vorlegen? Ewig wollen die auch nicht warten, nehme ich an, oder? Den zweiten Entwurf finde ich ziemlich gut. Ein munteres Haus in dieser humorlosen Gegend. Keine einfache Aufgabe, du hast recht. Die Lage ist ja die halbe Miete. Und diese Lage ist eine echte Herausforderung, ich weiß. Flach, platt, keinerlei Topografie. Nicht mal Natur. Keine Bäume, kein Weiher, dafür im Rücken konfektionierte Ware, Fertighaussiedlung, dreißig Häuschen in Reih und Glied. Kaninchenställe, Carport davor, Fleckchen Garten dahinter. Weißt du, was ich mich frage? Wie einer, der Geld hat, dazu kommt, an so einem Ort bauen zu wollen.
    Es war, als kehrten die Worte unverrichteter Dinge zu mir zurück.
    Ich brachte unser Bettzeug mit in die Klinik, sein Kissen. Er konnte eigentlich nur auf seinem Kissen richtig gut schlafen. Ein altes hutzeliges Sofakissen, aber genau richtig gefüllt, nicht zu hart und nicht zu weich. Eines seiner liebsten Bilder brachte ich mit, eine aus der Zeitung ausgeschnittene Luftansicht von Frank Lloyd Wrights Fallingwater. Hängte sie an die gegenüberliegende Wand. Schlüge er die Augen auf, würde sein Blick als Erstes darauffallen. Ich streichelte, massierte seine Hand, seinen Arm. Ich schlief im Sitzen ein. Eine Schwester kam und schickte mich nach Hause. Ich gehorchte. Ging nach Hause, um nach Rufus zu sehen. Er war jetzt oft bei der Nachbarin. Sebastians Schuhe standen im Flur. Braune

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