Außer sich: Roman (German Edition)
schlecht. Ich setzte mich auf. Das mit blauer Bettwäsche bezogene sehr breite Bett stand schräg im Zimmer. Es war ein fantasieloses Blau, viel zu aufdringlich, zu grell. Nichts interessierte mich. Nicht die Gespräche, nicht sein Leben. Kein Hauch von Zärtlichkeit oder Zukunft. Kein Flattern, kein Glück. Aber Umarmungen, Sex. Losgelöst, derb und seltsam rücksichtslos. Ich hätte mir das anders gewünscht. Hätte ich? Unser Verhältnis war von Anfang an krumm und verdreht. Da lag er, nackt. Er bemerkte meine Lügen nicht. Die Angst, er könnte merken, wie falsch alles ist. Angst, er merke es nicht. Nie. Es ginge weiter für immer. Er bedeutete mir nichts. Ich verstand ihn nicht, ich wollte ihn nicht verstehen. Ich empfand ihn als Verrat, ich sah, wie er dalag im breiten blauen Bett, so nackt und gesund. Ich nahm ihm übel, dass er nicht krank war, aber Sebastian schon. All das schob ich weg, schob es auf. Warum eigentlich? Warum stand ich nicht auf und sagte, entschuldige bitte, aber ich gehe jetzt. Wir werden uns nicht wiedersehen. Ich müsste nicht einmal einen Grund angeben. Ich könnte sagen, ich habe nachgedacht und mich für meinen Mann entschieden. Punkt. Ich könnte fies sein und es würde mir nicht leidtun. Rief mich also Sebastian an, während ich mit David beim Essen saß, konnte ich nach einem Blick auf das Display sagen,
mein Mann
, aufstehen, nach draußen gehen und einen winzigen Augenblick lang selbst glauben, Sebastian rufe an. Er sitze in einem Hotelzimmer in Helsinki zum Beispiel auf dem Bett und habe sich die ganze Zeit darauf gefreut, mich abends anzurufen und mir von seinem Tag zu erzählen. Ich stand draußen auf der Straße, auf der regennassen Straße, durch das Fenster sah ich David; ich suchte seine Blicke nicht, ich redete ins Telefon, ich sagte, papperlapapp, ich stehe hier auf der Straße, es regnet oder es ist noch sehr warm, und drin sitzt dieser Typ, David heißt er, er bedeutet mir nichts.
Deswegen? Darum?
Ich weiß nicht, sagte ich, ob das mit dem Buch so eine gute Idee ist. Ich geh mal aufs Klo. Im Bad roch ich die Durcheinandergerüche, die Cremes, die David benutzte (wegen seiner dünnen, empfindlichen Haut), der scharfe Geruch von Urinstein. Und, das war Einbildung, bestimmt Einbildung, der Gestank nach Kot, Kacke, über allem, unter allem. Ich roch an meinen Händen. Nein, meine Hände rochen nach überreifem Camembert. Nach französischem Käse. Nach Sperma. Mir wurde von Neuem schlecht. Und als ich mit dem Gesicht über der Schüssel hing, wurde mir schwindelig und vom Schwindel und dem Geruch des Klos konnte ich endlich kotzen. Es hörte gar nicht mehr auf. Irgendwann nahm ich undeutlich Davids Stimme (ich hatte die Tür abgeschlossen) wahr. Kathie? Alles in Ordnung? Ich schluckte, schluckte den brennend sauren Magensaft, schluckte, schluckte, mein ganzer Hals, innen, war verbrannt, verätzt von den eigenen Säften. Ja, rief ich heiser. Bin gleich fertig. Ich stützte mich auf die Schüssel und stemmte mich hoch. Rüber zur Dusche. Ich drehte das Wasser auf. Eiskalt. Mit beiden Händen wusch ich mich, wusch die klebrig-schleimigen Reste des Spermas von meinen Händen, von meinem Bauch, rieb und rieb, spürte die Kälte des Wassers nicht.
Ich wickelte das Badetuch eng um meinen Körper. Ich schloss die Tür auf. David nahm mich in die Arme. Alles o.k.? Du bist ja ganz bleich! Er war besorgt. Ehrlich besorgt. Warum hast du denn abgeschlossen? Ich zuckte die Schultern. Doch, jetzt ging es mir wieder einigermaßen. Er stützte mich, wir tappten zurück ins Schlafzimmer und ich begann, mich anzuziehen. Ich muss los. David zog theatralisch einen Schmollmund und drängte seinen noch immer nackten Körper an meinen. Komm schon, bleib noch. Bleib doch noch! Bisher hatten wir nie eine Nacht zusammen verbracht, immer musste ich nach Hause. Es war noch hell.
Ich bring dich, sagte er. Nein, sagte ich, ich gehe allein!
Ich zog die Jacke aus, ließ sie zu Boden fallen. Ich trat mir die Schuhe von den Füßen, ließ sie stehen. Das Handy klingelte. Bastian? Nein, David war dran. Wollte nur hören, ob du gut nach Hause gekommen bist? Ich biss mir auf die Lippen. Ja, bin ich. O.k., Küsschen, gute Nacht. Küsschen. Auflegen. So was hätte ich früher nie gemacht. Nie diese Worte gebraucht. Gelogen und betrogen. Nehmen, ohne zu geben. Ohne mich zu fragen, wo das noch hinführen sollte.
Ich legte mich ins Bett und rauchte. Drehte mich auf den Bauch, auf den Rücken, die Seite. Fror.
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