Aussortiert
spätestens
in einer halben Stunde hier aufkreuzen wird. Von jetzt ab dreißig
Minuten. Hält wer dagegen?«
»Seidel?«
»Exakt.«
Niemand nahm die Wette an.
Seidel betrat das Büro binnen fünf Minuten, markierte den
allesbeklagenden Gorilla, indem er mehrmals seine Fäuste gegen die
eigene Brust schlug.
Er machte diesmal keinen
Versuch, den Bauch einzuziehen, ein sicherer Hinweis darauf, daß die
Luft brannte.
»Meine Damen und
Herren, was passiert ist, können wir vor der Presse unmöglich
runterspielen. Ein toter Freier – das betrifft sechzig Prozent aller
deutschen Männer auf gewisse Art persönlich. Na gut, nicht alle
gehn an den Straßenstrich, aber egal, im Dunkeln, statt einen
geblasen zu bekommen das Hirn weggeblasen zu bekommen, das ist ganz, ganz
große Scheiße! Und wenn das noch zu einer Serie gehört!
Meine Fresse, ich sehs schon vor mir:
Der Killer mit der lila
Tinte. Komisch, klingt irgendwie nicht so richtig schrecklich. Der
Lila-Tintenkiller vielleicht?«
Seidel, ein schlaffbackiger
Mensch, brach in verzweifeltes Gekicher aus. Schob sich aber sofort wieder
zusammen, wie ein zu laut gewordenes Akkordeon.
»Nabel, ab sofort
lassen Sie alles stehen und liegen und kümmern sich ausschließlich
um diese Sache. Für Ihren Stab gilt das gleiche. Der Fall hat oberste
Priorität und bekommt eine Soko. Ich will den Dreckskerl haben, der
so etwas macht. Hätte ja wirklich noch drei Minuten warten können,
und dann, dann wärs ein Tod, um den man Herrn … Herrn …«
»Nentwig.«
»Herrn Nentwig beneiden
könnte, aber so … Gibts schon ein Profil?«
Lidia schüttelte den
Kopf. Sie sei noch am Sammeln von Merkmalen.
Seidel rieb sich seine
Platte, fuchtelte herum, stampfte demonstrativ auf und konnte nicht umhin,
seinen Verdacht zu äußern, der Täter habe bestimmt eher
mit rechtsradikaler Szene zu tun als mit fanatischen Betbrüdern.
»Es sei denn, das wäre so ein Muslim-Scheiß, bloß
ohne Muslims, also vielleicht sowas Krudes, irgendwo dazwischen …«
Seidel nervte das Büro
noch eine halbe Stunde lang, bevor er endlich abzog. Er war einer jener
Typen, die es stets bereut hatten, nur noch auf oberer Ebene vom
Schreibtisch aus aktiv sein zu dürfen, die sich nach ihrer
Vergangenheit auf der Straße zurücksehnten wie nach der
verlorenen Jugend. Zu Seidels Ehre muß man zugeben, daß er während
seiner Zeit recht erfolgreich gewesen war, weshalb er nachfolgende
Generationen leicht selbstgefällig als minderwertig und dringend
seiner Unterstützung bedürftig ansah.
Aus Sicht der Ermittler waren
die Morde ein dreifaches Desaster. Die Spurenauswertung hatte nichts
ergeben. Der Täter hatte nur jene hinterlassen, die er hinterlassen
wollte.
»Theoretisch«,
meinte Nabel, »hätte er den Spielplatz von der anderen Seite,
durch den Hof der Mietshäuser betreten können, ohne von
irgendwem gesehen zu werden. Es handelt sich um eine Straße voll
dunkler Gestalten, da fällt niemand auf, der herumschleicht. Relativ
zum Mord im Burger King war das hier vollkommen risikolos. Selbst wenn
jemand oben auf einem Balkon steht, er würde unten nichts erkennen.
Zu dunkel. Und die Nutte sucht sich selbstverständlich, der Natur der
Sache gemäß, noch die allerdunkelste Ecke aus. Das heißt,
der Täter kann praktisch auf seine Beute warten. Er muß aus
drei Meter Entfernung treffen. Gar nicht soo leicht, das braucht eine
ruhige Hand. Ihm hat ein Schuß genügt. Sehr kaltblütig.
Andere wären auf Nummer sicher gegangen. Bei den Lichtverhältnissen
konnte er nicht sofort wissen, wie fatal er getroffen hatte. Die Nutte
– wie heißt die eigentlich?«
»Irina Podjanski.
Polin. Strichname Petra.«
»Die hat keine Schritte
gehört, keine Schritte eines weglaufenden Mannes. Das heißt, er
ist einigermaßen ruhig weggegangen und trug dämpfende Schuhe.
Sofern es sich um einen Mann handelt. Irgendwie gehe ich davon aus.«
»Ich auch«,
meinte Lidia.
»Bedeutet das, eine Täterin
ist ganz ausgeschlossen?«
»Nein, Kai, heutzutage
ist gar nichts mehr ausgeschlossen. Ich habe nur gesagt, ich gehe von
einem männlichen Täter aus.«
»Du bist doch sonst
nicht so vage, Lidia? Was ist denn los? Kannst du die Wahrscheinlichkeit für
einen männlichen Täter nicht mathematisch in Prozent ausdrücken?«
»Irgendwas über
neunzig. Das hilft uns im Zweifelsfall doch gar
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