Aussortiert
fanatischen Haß
auf übergewichtige Menschen schob? Die Sichtung des Überwachungsvideos
ergab rein gar nichts. Die Kamera nahm tatsächlich nur den
Kassenbereich auf.
»Zu fett für Gott,
das Schwein. Aussortiert. Basta.«
Der Spruch klang religiös
angehaucht, jedoch sehr rüpelhaft, ohne die dazu meist gewählte
weihevolle Wortwahl.
Das graphologische Gutachten
stand noch aus, aber ein Experte, der sich den Schrieb en passant ansah,
meinte, das sei die Schrift eines Kindes oder eines zurückgebliebenen
Erwachsenen. Vielleicht recht clever angetäuscht. Dem Duktus nach möglicherweise
ein Rapper oder Hiphoper. Jugendliche Omnipotenzphantasien kämen da
zum Klingen.
Zum Glück herrschte
seitens der Presse keine große Neugier. Man hatte den Mord bisher
nur unvollständig im Polizeibericht erwähnt. »Starb an
noch ungeklärter Ursache« – klingt wenig interessant.
Erst abends kam von den
Kollegen aus Charlottenburg die Meldung, man habe im Pornokino am
Adenauerplatz einen Toten gefunden, erdrosselt. Und in dessen Manteltasche
ein selbstklebendes Schildchen, mit Botschaft, handschriftlich, lila Tinte
– »Zu geil, das Schwein. Aussortiert. De mortuis nihil.«
Ahmed pfiff leise durch die
kleine Lücke seiner oberen Schneidezähne. Lidia setzte ein
verwirrtes Gesicht auf. Minutenlang wurde es sehr still im Büro.
Eine Serie. Auch das noch.
Nabel schlug mit beiden Fäusten auf den Schreibtisch. Er fühlte
große Lust, den Dienst zu quittieren, einfach mit der Begründung,
sowas sei im August niemandem zuzumuten. Wozu nehm ich das alles auf mich?
Es kam zum Schlimmsten. Nach
einigen Telefonaten auf oberster Ebene wurde der Charlottenburger Fall der
Mordkommission Nummer acht unter Leitung Nabels übertragen. Es hätte
mit etwas Glück genausogut andersrum laufen können. Im Team
schien sich nur Lidia darüber zu freuen. Sie war bereits unterwegs,
um sich alle Details des Charlottenburger Falls von den dortigen Stellen
aushändigen zu lassen.
Manchmal wirken ihre Ellbögen
spitzig, dachte Kai, wenn sie wie ein Sportgeher durchs Büro geht,
zack-zack-zack. Die Ellbögen müßte man abschleifen. Hmm.
Was denke ich? Laß sie doch sein, wie sie ist. Spitzig, zackig,
spritzig. Beneidenswert.
Dezernatsleiter
Kriminaloberrat Dr. Seidel rief Nabel am frühen Abend an und machte
ihn auf die Brisanz der Sache aufmerksam.
»Sie begreifen sicher,
was die Schweinezeitung draus machen würde. Solche Morde sind die
allerschlimmsten, sie können wirklich jeden treffen. Das schlägt
ins emotionale Kollektiv, so wie ein Ziegelsteinwurf von der Autobahnbrücke.«
Nabel fühlte sich gedemütigt
und gemaßregelt, wie fast immer, wenn er mit Seidel reden mußte
und nur Binsenweisheiten zu hören bekam.
»Verzeihung, wenn ich
das einwenden darf, aber das richtete sich eben nicht gegen jeden. Nur
gegen fette Menschen und Pornokinobesucher. Wir sollten das schon ein bißchen
ernst nehmen.« Nabel kam sich selbst blöd vor, während er
das sagte. Er redete, wie Leute eben reden, wenn sie irgend etwas
antworten müssen und weder Lust dazu haben noch irgendeinen
Standpunkt zu verteidigen.
»Ich bin mir nicht
sicher, Nabel, ob übergewichtige Menschen in unserer Gesellschaft als
Minderheit zu werten sind. Bei Pornokinobesuchern bin ich mir sogar
äußerst unsicher.
Ich habe eben mit der amerikanischen Botschaft telefoniert, wegen der
Überführung des Touristen, die sind dort soweit einverstanden,
die Sache nicht zu groß aufzubauschen. Und der Generalmanager von
Burger King Berlin hat mich angerufen, daß er es sehr bedauern würde,
wenn der Vorfall über Gebühr mit dem Namen seines Ladens
verbunden bliebe undsoweiter … Haben Sie kapiert? Die Sache ist
heikel!«
Nabel hatte kapiert. Der alte
Seidel war ein Mensch von pragmatischem Schlag. Bei einem privaten
Geplauder hatte er Nabel mal die Präsentationstheorie ans Herz
gelegt. Wird die Berichterstattung der Medien zu unerträglich,
verhaftet man irgendeinen Penner, präsentiert den als Täter und
ermittelt im stillen weiter. Der Penner wird gut verköstigt und nach
drei Monaten wegen mangelnder Beweise auf freien Fuß gesetzt. Sofern
man nicht Glück hat und der Penner die Tat gesteht. Während
dieser drei Monate können die Ermittlungen ohne jeden Druck seitens
der Presse verlaufen.
Dr. Seidel würde auf
offizielle Anfragen hin
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