Aussortiert
nichts.«
»Aber – eine
Frau, die jemanden erdrosselt …«
»Das ist kein so großer
Kraftakt, wie gemeinhin geglaubt wird. Man muß oft nichtmal eine
halbe Minute am Limit bleiben, bis die Ohnmacht eintritt. Der Überraschungsfaktor
ist da entscheidend.«
»Es muß ein Mann
sein«, beschloß Nabel.
»Warum?«
»Ganz simpel: Eine Frau
im Pornokino würde enormes Aufsehen erregen.«
»Und wenn sie sich«,
warf Ahmed ein, »verkleidet?«
»Glaub ich nicht. Sowas
gibts aufm Theater, nicht im Ernst.«
»Ehrlich gesagt«,
seufzte Lidia, »komm ich mit dem Profil nicht recht vorwärts.
Die Botschaften sind zu kurz, zu lapidar, um sozusagen ein, mir steht
grade kein dooferes Wort zur Verfügung: Herzensbekenntnis zu sein.
Die Morde folgen zu schnell aufeinander, als hätte es der Täter
eilig, sich in kürzester Zeit zu profilieren, ernst genommen zu
werden. Mit einem möglichst großen Spektrum an Tötungsarten.
Das deutet tatsächlich auf Allmachtsphantasien hin, auf eine massive
Profilneurose, extreme Frustration und einen gewissen künstlerischen
Willen, sich nicht wiederholen zu wollen. Dann wieder denke ich mir: Wozu
überhaupt das Handschriftliche? Um ein Signet am Tatort zu
hinterlassen, hätte es doch andere Möglichkeiten gegeben,
poetischere, was weiß ich, eine gewisse Blume oder irgendwas. Wozu
die Handschrift? Wenn es nicht die des Täters sein sollte, wäre
das merkwürdig, denn er würde sich quasi der Hilfe eines anderen
bedienen, sowas würde ein selbsternannter Gott nicht nötig haben
beziehungsweise als störendes Fremddekor empfinden …«
Nabel entdeckte im Gesicht
von Lidia Rauch ungewohnte Züge des Zweifels, der Unzufriedenheit und
auch ein wenig, wie sollte ers nennen? Bockigkeit. Sie schien sich in
diesen Fall nicht mit der üblichen Inbrunst zu stürzen, weil er
sich ihrem logischen Verständnis verweigerte. Nabel bohrte nicht
nach. Schweigen im Raum. Lidia sah müde und angeekelt aus, schneuzte
sich, suchte die Toilette auf, kam nach einer Viertelstunde wie verwandelt
zurück und zeigte endlich wieder ihren gewohnten Trotz, verbunden mit
jenem neugierig-entschlossenen Blick, der die einst Jahrgangsbeste der
Polizeischule gewöhnlich auszeichnete. Nabel betrachtete sie
heimlich, sie schniefte leicht, rieb sich die Nase.
»Gehts deinem Schnupfen
immer noch nicht besser?«
»Dochdoch. Ist nur lästig.«
»Gut, nehmen wir an: Es
ist ein Geisteskranker – ohne logisch vorhersehbares
Handlungsmuster. Vielleicht hat das Ganze ja doch mit den sieben Todsünden
zu tun. Wie in diesem Brad-Pitt-Film. Aber ich denke, Lidia hat recht,
wenn sie sagt, daß der Täter darauf stärker hinweisen würde.
Nehmen wir mal wörtlich, was er schreibt.«
Lidia griff den Gedanken auf.
»Er glaubt entweder, daß er selbst bald zu einer Art Gott
wird, oder daß es zu einer Art Jüngstem Gericht kommt, dem er
vorauseilend willfährig vorgreifen möchte.«
»Vorauseilend willfährig
vorgreifen«, wiederholte Ahmed. »Klingt scharf, wenn du das
sagst. Sorry, war nicht so gemeint. Ich halt schon meinen Mund.«
In den Printmedien
anderntags, selbst in den überregionalen Blättern, wurden die
Morde weidlich ausgeschlachtet. Die Schweinezeitung, so hieß sie in
Nabels Bürojargon, titelte mit lila Versalien: Irrer Serienkiller wütet
in Berlin. Täter hinterläßt Visitenkarten, in denen er
weitere Morde ankündigt. Sind wir alle in Gefahr? Wer besonders
bedroht ist: Seite 7.
Das Kälberjournal und
das Hühnerblatt äußerten sich ähnlich, und selbst die
seriös-bürgerlichen Gazetten ließen sich die Gelegenheit
zur Panikmache nicht entgehen.
Nur die traditionell
linksorientierte Tageszeitung (nicht wichtig genug, kein Kosename) übte
sich in Zurückhaltung und beließ es bei einer kleinen Spalte im
Lokalteil.
Nabel war sauer. Woher wußte
die Presse von der Farbe Lila? Die war in den Bulletins mit keinem Wort
erwähnt worden. Seidel beschloß, daß der Journaille
fortan nur das Allernötigste mitgeteilt werden sollte. Seine
Beziehungen zu den Zeitungsverlegern waren recht gut, er erreichte mit
vielen Gesprächen auf Chefebene, daß sich die Berichterstattung
etwas abschwächte. Nur die Schweinezeitung ließ sich in keiner
Weise beschwichtigen. Sie forderte neue Fakten, wo es keine gab, erfand
sie sich welche. Merkwürdigerweise gelang es der Schweinezeitung,
viel mehr Zeugen
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