Aussortiert
Betrieb und vierköpfiger
Familie, schlenderte, kurz nach 24 Uhr, vom U-Bahnhof Kurfürstenstraße
kommend, die Parade der leichtbekleideten Bordsteinschwalben ab, bog in
die Frobenstraße ein und sah, gegenüber der Bushaltestelle, ein
etwa zwanzigjähriges Mädchen, das ihm spontan gefiel. Sie war
schlank und blond, halbwegs hübsch, mit gut ausbalancierter Oberweite
und schuluniformähnlichem Faltenröckchen. Nentwig erkundigte
sich nach dem Preis für Französisch ohne Gummi, fand die
verlangte Summe, dreißig Euro, akzeptabel und folgte dem Mädchen
auf den Kinderspielplatz, wo die Nutten dieses Striches nachts ihre Freier
bedienen, wenn es schnell gehen soll und man die Miete für ein
Stundenhotel einsparen will.
In jedem erotischen Stadtführer
wird vor den Junkienutten der Frobenstraße gewarnt, viele von ihnen
seien krank, seien Ansteckungsherde für alle Arten lästiger bis
tödlicher Krankheiten. Miroslav Nentwig ging das Risiko bewußt
ein, immerhin bekam er es preiswert Französisch ohne (›total‹)
gemacht, und das Leben, fand er, sei zu kurz, um auf dergleichen zu
verzichten. Mit seiner Gattin verkehrte er schon lange nicht mehr sexuell,
die Kinder waren so gut wie erwachsen, das Ganze ging nur ihn etwas an und
niemanden sonst. Freier und Nutte suchten sich eine besonders dunkle,
verschwiegene Ecke des Spielplatzes, er lehnte sich gegen den Zaun aus
Stahldraht, streifte seine Hose und Unterhose herab, und Petra, das war
der Name, den sie ihm nannte, ging in die Hocke, rieb an seinem kaum
halbsteifen Glied, wusch es mit etwas Spucke, schob es in ihren Mund.
Danach schrie sie. Wollte
weglaufen, lief nach mehreren vergeblichen Versuchen auch weg, drehte
sich, auf der Straße angekommen, um, brach auf dem Gehsteig zusammen
und bat herbeieilende Kolleginnen – was sie sich zuvor nie hätte
träumen lassen –, die Bullen zu rufen.
Am nächsten Morgen wurde
der Fall an Nabel und sein Team übergeben. Nabel, völlig übernächtigt,
schämte sich seiner Tränensäcke. Er trug vorm Spiegel der
Toilette straffende Tagescreme auf, las dann im Büro das Protokoll
durch, das im Laufe der Nacht entstanden war. Beziehungsweise bat er Lidia
darum, daß sie es vorlas. Ihre Stimme war so klar und silbern. Eine
Art akustisches Scheuermittel für seine halb tauben, vom Restalkohol
verdreckten Gehörgänge.
»Zeugin: Ich hab es ihm
auf orale Weise besorgt. Ich war gerade dabei, damit anzufangen.
Der Miroslav Nentwig, dessen
Namen ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, zeigte erste Reaktion
durch allmähliches Versteifen des Gliedes, Zurückbiegen des
Kopfes und leise Stöhnlaute …«
Nabel, Ahmed sowie alle
anderen Mitglieder der MK acht blökten und jauchzten und baten Lidia
im Chor, die Passage gleich noch einmal vorzutragen.
»Warum«, fragte
Nabel laut, »können die nicht einfach das, was Zeugen aussagen,
im Wortlaut aufschreiben. Das wäre manchmal vielleicht wichtig. Im
Wortlaut. Nuancen, versteht ihr?« Nabel schüttelte verärgert
den Kopf und bat Lidia, weiter vorzulesen.
»Zeugin: Plötzlich
ertönt ein pfeifendes Geräusch, dann kippt Nentwig auf mich
drauf. Sein Gesicht blutet, ich spüre es in der Dunkelheit, es rinnt
warm aus seinen Augen auf meine Finger. Ich rüttele den Kerl, der
regt sich nicht, ich schreie, haue ab, bleibe auf der Straße stehen,
rufe nach Hilfe. Mehr weiß ich nicht.«
Nabel überflog das
Protokoll. »Hat sies ihm mit Gummi gemacht oder ohne?«
»Steht da nicht. Spielt
das eine Rolle? Ob sies ihm mit Gummi gemacht hat oder nicht?«
»Na klar! Alles spielt
eine Rolle. Und sowas besonders.«
»Warum?« Lidia
tat naiv. Manchmal schien sie kokettieren zu wollen. Nabel tat ihr den
Gefallen, wendete sich an den Rest der Mordkommission, fast ausnahmslos Männer,
und fragte: »Ist das wichtig, ob mit Gummi oder nicht?«
Ein vielstimmiges aber hallo
ertönte, ein gemurmeltes weißgott sowie zwei verdruckste schon
irgendwie.
Tatwaffe: Pistole, vermutlich
mit Schalldämpfer, Kaliber 9 Millimeter, Entfernung des Schützen:
keine drei Meter. Treffer direkt in den Hinterkopf, Austrittswunde im
rechten Auge. Sofortiger Exitus. Weitere Spuren: im Stahlzaun ein
selbstklebendes Schildchen, darauf, von Hand mit lila Tinte geschrieben:
Zu unsauber für Gott.
Aussortiert. Hallelujah.
»Mist«, sagte
Nabel laut. »Wollt ihr wetten? Ich behaupte, ich weiß, wer
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