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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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aufzustöbern, die irgendwas gesehen haben wollten,
     als der Polizei (siehe: Zeugengeld). Prompt gingen die ersten
     Denunziantenschreiben und Bekennerbriefe ein, manche Idioten kamen persönlich
     zur Wache, um sich zu stellen und laut jammernd ihre Seelenqual
     loszuwerden. Das alles mußte bearbeitet werden. Seidel stellte
     weiteres Personal ab, das nichts anderes zu tun hatte, als sich um eben
     jene Idioten zu kümmern. Wehe, es wäre irgendein noch so kleiner
     Hinweis darunter gewesen, der sich nachträglich als doch
     ernstzunehmen herausgestellt hätte. Unendlich viel Steuergeld floß
     sinnlos in den Orkus, die SOKO LILA nahm ihren Dienst auf.
    Die Tatwaffe des
     Spielplatzmordes war eine nicht gerade seltene Beretta gewesen. Kein
     registriertes Modell.
    Nabel und sein Team standen
     vor dem Nichts. Die Graphologen stritten noch, ob die Schrift tatsächlich
     kindlich oder nur nachgeahmt kindlich war. Eher letzteres.
    Immerhin wurde noch in
     derselben Woche der Spielplatz an der Frobenstraße (»Hier
     finden unsere Berliner Kinder morgens verseuchte Spritzen und benutzte
     Kondome!«) mit einem hohen Stahlgitter umzäunt und ab 19 Uhr
     abends zugesperrt. Die Anwohner, zu siebzig Prozent Sozialhilfeempfänger,
     hatten das zuvor über fünfzehn Jahre lang vergeblich gefordert.
     Die Huren waren nun gezwungen, mit ihren Kunden einen Zehnminutenfußmarsch
     zum Nelly-Sachs-Park zu machen. Und die Schweinezeitung feierte sich. (»Wir
     tun was für die Stadt!«)
    Lidia machte das Team darauf
     aufmerksam, daß die Opferwahl beim Frobenmord insofern ungewöhnlich
     war, als der Täter nicht etwa die Prostituierte, sondern den Freier
     erschossen hatte.
    Sexuell-religiöse
     Aggression eines männlichen Täters würde sich gewöhnlich
     heterogen entladen, im Haß auf die Sünderin und Verführerin,
     auf die Buhle, biblisch gesprochen, während zum eigenen Geschlecht
     selbst in größter Verwirrung eine Art Solidarität zum
     Tragen käme.
    »Und? Was schließt
     du daraus?«
    Lidia schloß daraus, daß
     der Täter transsexuell sein könnte. Oder aber – daß
     er bewußt größtmögliches Aufsehen erregen wollte, größtmögliche
     Angst. »Seien wir ehrlich: Wenn es die Hure erwischt hätte, würde
     selbst die Schweinezeitung weniger ausführlich berichten. Was ich
     nicht so ganz verstehe ist, warum er nicht einfach beide umgebracht hat.
     Schon aufgrund der Gefahr, daß sie ihn doch auf irgendeine Weise
     wahrgenommen hat.«
    »Es war ja ganz finster«,
     wendete Nabel ein.
    »Dennoch. Es war hell
     genug, daß der Killer einen exakten Treffer landen konnte.
     Normalerweise ist in solch einer Situation die Angst vor Entdeckung so groß,
     daß man schon aus Hysterie beide umbringen würde. Wo Aggression
     herrscht und Frustpotential abgebaut wird, kommt es fast immer auch zu
     hysterischen Reaktionen. So kaltblütig wäre wohl nicht mal ein
     Geisteskranker.«    
    »Na und? Was willst du
     damit sagen?«
    »Daß ihm das
     Opfer egal war.«
    Nabel verstand nicht, und
     diesen Zustand konnte er nunmal nicht leiden. »Aber das Opfer war
     ihm doch egal. Es hätte irgendeinen Freier treffen können.«
    »Ich meine, daß
     ihm nicht nur …« Lidia stockte. »Aber vielleicht
     verrenn ich mich da. Vielleicht hatte er Ladehemmung nach dem ersten Schuß?
     Kai, merkst du was? Ich bin nicht so souverän wie sonst. Der Fall
     liegt mir einfach nicht, er legt sich quasi quer in mir. Liebst du mich
     trotzdem?«
    Nabel erschrak, und sein
     Blick nahm Zuflucht in ein menschenleeres Eck des Büros. Lidia
     feixte, es war ein flapsiger Spruch gewesen, nichts weiter. Ob sie sein
     Zucken bemerkt hatte?
    Ahmed war unterwegs, um
     routinemäßig im persönlichen Umfeld des toten
     Heizungsbauers zu recherchieren. Erwartungsgemäß schien der,
     wie die anderen Opfer auch, keine Feinde gehabt zu haben, besser gesagt,
     keine nennenswerten. Die Hinterbliebenen schilderten Herrn Nentwig als
     treusorgenden Familienvater. Die Witwe verstieg sich gar zur Behauptung,
     er sei der Prostituierten bestimmt nur aus Unerfahrenheit gefolgt oder sei
     womöglich – ausnahmsweise, ganz ausnahmsweise – betrunken
     gewesen.
    Ahmed hätte ihr sagen können,
     daß bei der Obduktion ein Promillegehalt von null Komma null
     festgestellt worden war, aber er hielt die Klappe und ließ der Witwe
     ihr Hintertürchen zum guten Glauben offen.
    Ahmed wußte, daß
     das, was er hier tat, nur ein besseres Beschäftigungsprogramm war.

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