Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
Vom Netzwerk:
Er
     wußte auch, was in Nabel jetzt vorging. Nabel wartete ungeduldig
     darauf, daß der Killer ein viertes Mal zuschlug, ein fünftes
     Mal, so lange, bis ihm endlich ein Fehler unterlaufen würde. Und
     Ahmed wußte auch, wie sehr Nabel unter diesem Wunsch litt.
    Armer Chef, dachte er und
     verließ eben das Mietshaus in Tegel, als Jimmy Kistner aus einem
     Taxi stieg und ihm zuwinkte. Jimmy Kistner war der Fuzzi von der
     Schweinezeitung, nicht nur irgendein Fuzzi, sondern der Fuzzi. Es war klar
     gewesen, daß die Schweinezeitung ihn auf die Sache ansetzen würde.
     Ein geborenes Imdreckwühleschwein. Sah man von jeglichem
     journalistischem Ethos mal ab, war Kistner tatsächlich sowas wie der
     Star seiner Branche. Einfach, indem er noch gemeiner, spekulativer,
     scheinheiliger und skrupelloser war als all seine Kollegen zusammen. Was
     immer es in dieser Stadt zu wissen gab, Jimmy Kistner wußte es, und
     was er nicht wußte, das erfuhr er bald, aufgrund der Eitelkeit oder
     Geldgier der Menschen.
    Jimmy Kistner wußte
     sogar Ahmeds halben Nachnamen und rief ihn quer über die Straße.
    »Müller! Bleiben
     Sie doch mal stehen!«
    Manch einer an meiner Stelle,
     dachte Ahmed, würde sich geschmeichelt fühlen. Er aber würdigte
     Kistner keines Blickes und stieg in seinen Dienst-VW.
    »He, Müller, wir
     stehen beide im Dienst der Öffentlichkeit, ja? Haben Sie denn gar
     keine Manieren?«   
    Ahmed fuhr ins Büro zurück,
     um vom an sich tadellos-banalen Lebenslauf des verstorbenen Heizungsbauers
     Meldung zu machen.

 
    3
    Während der folgenden
     Tage blieb es in der Hauptstadt relativ ruhig. Es gab die üblichen
     Gewalttaten, aber keine darunter, die man der ›violetten Serie‹
     hätte zuordnen können. Die Presse hatte sich noch nicht beruhigt
     und war dabei, einen passenden Kosenamen für den Mörder zu
     finden. Die Ninja-Bestie. Der Allerweltsmörder. Der Aussortierer.
     Klang alles nicht gut.
    Nabel ärgerte sich. Noch
     mehr geheimgehaltene Details waren auf irgendwelchen Wegen zu den Gazetten
     durchgesickert. Nichts, was die Fahndung behindert oder beeinträchtigt
     hätte, dazu waren jene Details zu unwichtig, aber Nabel fand es demütigend,
     unter seinen eigenen Leuten mit einem Maulwurf rechnen zu müssen.
    Andererseits – was hieß
     schon unter seinen eigenen Leuten? Es gab so viele, die Zugang zu den
     Akten bekommen oder beim Registrieren diverser Informationen zufällig
     daneben gestanden haben konnten, die Bestattungsgehilfen, die
     Verkehrspolizisten, glotzende Passanten, die Leute in der Pathologie,
     Nabels Vorgesetzte – ein weites Feld an Möglichkeiten.
    Kriminaloberrat Seidel, wenn
     er ein paar intus hatte, liebte es, den Journalisten Kleinigkeiten
     hinzuwerfen und sich an deren Dankbarkeit zu ergötzen.
    Lidia kam mit dem Täterprofil
     immer noch nicht zurecht. Sie war zwischendurch der Meinung, es könne
     keinesfalls ein Pubertierender, es müsse ein schon älterer Mann
     sein, vielleicht zwischen 35 und 45, der an Impotenz oder verfrühter
     Verfallsangst litte. Als sie das Nabel mitteilte, mokierte der sich darüber,
     daß sie einen Mann zwischen 35 und 45 als ›schon älter‹
     bezeichnete.
    »Sag doch gleich, daß
     du mich im Verdacht hast«, raunte er schlecht gelaunt, und daß
     er einen Scherz machte, war Lidia nicht sofort klar. Sie wirkte blaß
     und überarbeitet, saß nächtelang am Computer auf der Suche
     nach Analogien aus zurückliegenden Fällen, steckte fest, und
     Nabel hatte ein schlechtes Gewissen, weil ihm selbst keine Idee zu Hilfe
     kam. Die gängigen Bearbeitungsmuster hatten nichts Greifbares
     ergeben, die drei Opfer standen in keinerlei Zusammenhang, außer
     vielleicht, daß sie Männer waren, keiner jünger als 45.
     Ihre Berufe, ihre Lebensgewohnheiten, ihre Konfessionen, ihre Bankkonten,
     ihre kleinen Laster, wenn es überhaupt welche gab – nirgendwo
     fand sich eine signifikante Kohärenz.
    Anderthalb Wochen vergingen,
     ohne daß Bewegung in den Fall geriet. Der Täter glaubte
     anscheinend, er habe sich fürs erste genügend Respekt
     verschafft, jetzt schien er sich auszuruhen, sonnte sich im neuen Glanz
     und war beschäftigt damit, die Zeitungsspalten, die ihn betrafen,
     auszuschneiden und in ein Album zu kleben.
    Es war ein Ansatz, der lächerlich
     wenig Erfolg versprach. Nabel veranlaßte, die Abonnentenlisten der
     Berliner Tageszeitungen miteinander zu vergleichen und all jene Menschen
     herauszusuchen, die

Weitere Kostenlose Bücher