Aussortiert
Er
wußte auch, was in Nabel jetzt vorging. Nabel wartete ungeduldig
darauf, daß der Killer ein viertes Mal zuschlug, ein fünftes
Mal, so lange, bis ihm endlich ein Fehler unterlaufen würde. Und
Ahmed wußte auch, wie sehr Nabel unter diesem Wunsch litt.
Armer Chef, dachte er und
verließ eben das Mietshaus in Tegel, als Jimmy Kistner aus einem
Taxi stieg und ihm zuwinkte. Jimmy Kistner war der Fuzzi von der
Schweinezeitung, nicht nur irgendein Fuzzi, sondern der Fuzzi. Es war klar
gewesen, daß die Schweinezeitung ihn auf die Sache ansetzen würde.
Ein geborenes Imdreckwühleschwein. Sah man von jeglichem
journalistischem Ethos mal ab, war Kistner tatsächlich sowas wie der
Star seiner Branche. Einfach, indem er noch gemeiner, spekulativer,
scheinheiliger und skrupelloser war als all seine Kollegen zusammen. Was
immer es in dieser Stadt zu wissen gab, Jimmy Kistner wußte es, und
was er nicht wußte, das erfuhr er bald, aufgrund der Eitelkeit oder
Geldgier der Menschen.
Jimmy Kistner wußte
sogar Ahmeds halben Nachnamen und rief ihn quer über die Straße.
»Müller! Bleiben
Sie doch mal stehen!«
Manch einer an meiner Stelle,
dachte Ahmed, würde sich geschmeichelt fühlen. Er aber würdigte
Kistner keines Blickes und stieg in seinen Dienst-VW.
»He, Müller, wir
stehen beide im Dienst der Öffentlichkeit, ja? Haben Sie denn gar
keine Manieren?«
Ahmed fuhr ins Büro zurück,
um vom an sich tadellos-banalen Lebenslauf des verstorbenen Heizungsbauers
Meldung zu machen.
3
Während der folgenden
Tage blieb es in der Hauptstadt relativ ruhig. Es gab die üblichen
Gewalttaten, aber keine darunter, die man der ›violetten Serie‹
hätte zuordnen können. Die Presse hatte sich noch nicht beruhigt
und war dabei, einen passenden Kosenamen für den Mörder zu
finden. Die Ninja-Bestie. Der Allerweltsmörder. Der Aussortierer.
Klang alles nicht gut.
Nabel ärgerte sich. Noch
mehr geheimgehaltene Details waren auf irgendwelchen Wegen zu den Gazetten
durchgesickert. Nichts, was die Fahndung behindert oder beeinträchtigt
hätte, dazu waren jene Details zu unwichtig, aber Nabel fand es demütigend,
unter seinen eigenen Leuten mit einem Maulwurf rechnen zu müssen.
Andererseits – was hieß
schon unter seinen eigenen Leuten? Es gab so viele, die Zugang zu den
Akten bekommen oder beim Registrieren diverser Informationen zufällig
daneben gestanden haben konnten, die Bestattungsgehilfen, die
Verkehrspolizisten, glotzende Passanten, die Leute in der Pathologie,
Nabels Vorgesetzte – ein weites Feld an Möglichkeiten.
Kriminaloberrat Seidel, wenn
er ein paar intus hatte, liebte es, den Journalisten Kleinigkeiten
hinzuwerfen und sich an deren Dankbarkeit zu ergötzen.
Lidia kam mit dem Täterprofil
immer noch nicht zurecht. Sie war zwischendurch der Meinung, es könne
keinesfalls ein Pubertierender, es müsse ein schon älterer Mann
sein, vielleicht zwischen 35 und 45, der an Impotenz oder verfrühter
Verfallsangst litte. Als sie das Nabel mitteilte, mokierte der sich darüber,
daß sie einen Mann zwischen 35 und 45 als ›schon älter‹
bezeichnete.
»Sag doch gleich, daß
du mich im Verdacht hast«, raunte er schlecht gelaunt, und daß
er einen Scherz machte, war Lidia nicht sofort klar. Sie wirkte blaß
und überarbeitet, saß nächtelang am Computer auf der Suche
nach Analogien aus zurückliegenden Fällen, steckte fest, und
Nabel hatte ein schlechtes Gewissen, weil ihm selbst keine Idee zu Hilfe
kam. Die gängigen Bearbeitungsmuster hatten nichts Greifbares
ergeben, die drei Opfer standen in keinerlei Zusammenhang, außer
vielleicht, daß sie Männer waren, keiner jünger als 45.
Ihre Berufe, ihre Lebensgewohnheiten, ihre Konfessionen, ihre Bankkonten,
ihre kleinen Laster, wenn es überhaupt welche gab – nirgendwo
fand sich eine signifikante Kohärenz.
Anderthalb Wochen vergingen,
ohne daß Bewegung in den Fall geriet. Der Täter glaubte
anscheinend, er habe sich fürs erste genügend Respekt
verschafft, jetzt schien er sich auszuruhen, sonnte sich im neuen Glanz
und war beschäftigt damit, die Zeitungsspalten, die ihn betrafen,
auszuschneiden und in ein Album zu kleben.
Es war ein Ansatz, der lächerlich
wenig Erfolg versprach. Nabel veranlaßte, die Abonnentenlisten der
Berliner Tageszeitungen miteinander zu vergleichen und all jene Menschen
herauszusuchen, die
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