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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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würde
     man im Boxsport sagen, vielleicht hatte Lidia eine leichte Gehirnerschütterung
     davongetragen, in diesem Fall hätte man im Krankenhaus auch nicht
     viel mehr tun können, als Bettruhe zu verschreiben.    
    »Du hast ihn nicht
     erkannt?«
    »Nein.«
    »Wer hat Schlüssel
     zu deiner Wohnung?«
    »Niemand. Außer
     mir.«
    »Nichtmal dein Freund?«
    »Nein. Der wars nun
     ganz bestimmt nicht.«
    »Gut Ich meine, gar
     nicht gut. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Tut mir leid, wenn ich
     dir die Nacht verderbe.«
    »Red keinen Quatsch.
     Red einfach so wenig wie möglich. Hast du schon nachgesehen, ob was
     fehlt?«
    »Wie denn? Was gäbs
     hier schon zu holen?«
    »Hattest du
     irgendwelche Materialien hier, die LILA betreffen?«
    »Nein. Heute mal nicht.«
    »Konnte irgend jemand
     wissen, daß du später nach Haus kommst als üblich?«
    »Nein.«
    Nabel tupfte ihr Gesicht mit
     einem nassen Handtuch ab. Die Blutung war längst gestillt, und er schämte
     sich, die Berührung auf gewisse Art zu genießen.
    »Dann wars wohl kein
     gewöhnlicher Einbrecher. Jemand hat auf dich gewartet. Erst als du in
     der Tür stehengeblieben bist, hat er durchgedreht. Er mußte
     damit rechnen, daß du deine Waffe ziehen würdest. Könnte
     sein, daß er dir von vornherein eins auf die Schnauze geben wollte,
     nichts weiter.«
    »Tröstlich!«
    »Tschuldigung wegen der
     Wortwahl. Jedenfalls, das Türschloß sieht nicht sehr
     beeindruckend aus. Serienware. Dafür nen Dietrich zu bekommen ist
     keine große Kunst.«
    »Wußte ich nicht.
     Ist das so?«
    »Aber was wollte er von
     dir?«
    Lidia lag auf der Couch,
     nunmehr mit einem Beutel Eis auf der Stirn. Nabel stand auf, um kochendes
     Wasser auf die Teebeutel zu schütten, er dimmte die Zimmerbeleuchtung
     weiter herab, bis die Tassen nur noch als schwache Silhouetten zu erkennen
     waren. Dann geschah, angesichts der Umstände, ein kleines Wunder.
    Der Eisbeutel rutschte Lidia
     von der Stirn und sie schnarchte. Dezent nur, aber sie schnarchte, also
     schlief sie, zweifellos, und Nabel nahm den Eisbeutel, trug ihn zur Spüle,
     legte ihn leise hinein, die Eiswürfel machten dumpfe Geräusche
     im Becken, er setzte sich neben die Schlafende auf den Boden, hörte
     auf ihren Atem, hörte lange, anfangs besorgt, endlich beruhigt ihrem
     bald lautlosem Atem zu, zuletzt wankte er in Lidias Schlafzimmer, legte
     sich in ihr Bett und schlief auch.

 
    16
    Morgens um sieben vibrierte
     das Handy. Nabel schaltete es ab und trottete schlaftrunken ins
     Wohnzimmer. Draußen war es hell geworden. Lidia schlief immer noch,
     wenn auch unruhig, sie schien zu frösteln, und Nabel legte ihr zusätzlich
     zur dünnen Fleece-Decke seine Jacke über. Er setzte sich vor der
     Couch auf den Boden und betrachtete die Schlafende. Als könne sie
     seinen Blick wahrnehmen wie eine flanierende Mücke auf der Haut,
     blinzelte sie prompt und schüttelte sich, schrak hoch, realisierte
     die Umgebung.
    »Kai?«
    »Schlaf weiter!«
    »Du bist so lieb. Warst
     du die ganze Zeit auf dem Fußboden? Leg dich doch hin! Geh in mein
     Zimmer.«   
    »Mach dir um mich bloß
     keine Sorgen.«
    Lidia pennte noch einmal weg,
     und Nabel fand, daß es auf ihre Aufforderung hin völlig okay
     war, sich erneut in ihr Bett zu legen, für eine halbe Stunde, eine
     kleine knappe halbe Stunde köstlichen Schlafes, dann, schon im
     Fallen, erinnerte er sich des Anrufs auf dem Handy und wählte die
     oberste Nummer auf der Liste entgangener Anrufe, eine Nummer, die ihm
     nichts sagte.
    Sie gehörte einem
     Vollzugsbeamten aus dem Untersuchungsgefängnis. Murat Kursun, der an
     diesem Morgen hätte entlassen werden sollen, habe Selbstmord
     begangen, sei am Fenstergitter erhängt aufgefunden worden.
    »Das glauben Sie doch
     selber nicht.«
    »Wie bitte?«
    »Ich bin ein wenig
     durcheinander.« Nabel legte auf. Und wieder vibrierte das Handy.
    »Was denn jetzt noch?«
    »Hier ist König.
     Es hilft nichts. Wir müssen reden.«
    Nabel hatte sich Zeit
     gelassen. Er ließ vor allem Lidia Zeit, sich zu duschen und
     anzuziehen, einen kleinen Koffer zu packen, er gab ihr seine Wohnungsschlüssel.
     Sie solle es sich bei ihm, so gut es ging, gemütlich machen und ein,
     zwei Tage freinehmen. Er hatte sie in ein Taxi verfrachtet und war zu Fuß
     zum angegebenen Treffpunkt marschiert, dem Friedhof am Mehringdamm, wo E.
     T. A. Hoffmann und Mendelssohn-Bartholdy begraben lagen. Ein pittoresker
     Friedhof.

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