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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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durchblicke. Bei allem Respekt für die Toten – aber das wächst
     auch wieder nach. Was Tschutschelow sonst treibt, muß absolute
     Priorität haben.«
    »Verstehe. Nabel zerrt
     da was in die Öffentlichkeit, was dort vorerst nicht hingehört.«
    »So ungefähr. Und
     ich war auch noch gezwungen, ihm gegenüber den Namen zu erwähnen.
     Selbst wenn Tschutschelow was mit den Morden zu tun hat, deswegen kriegen
     wir ihn nie dran. Das sind Kollateralschäden.«
    »Und wenn Sie Nabel in
     groben Zügen unterrichten würden, haben Sie daran schon gedacht?«
    König verzerrte sein
     Gesicht, wie unter Zahnschmerzen.
    »Davon geträumt
     hab ich heute nacht. Alpträume. Der Mensch ist hochgradig
     inkompetent, er würde unser Vorgehen ernsthaft gefährden. Das
     kann ich nicht zulassen.«
    »Wir können ihm
     aber schlecht in die Parade fahren.«
    »Nein, das nicht.
     Selbstverständlich nicht. Leider. So ein Dilemma!«
    Pfeifer erwähnte mit
     keinem Wort, daß er gestern nacht bedroht worden war, von einem von
     Tschutschelows Raufbolden. Er konnte seinem Vorgesetzten auch schlecht zum
     Vorwurf machen, daß der ihn nicht von der Razzia in der Festen Burg
     unterrichtet hatte. Was sonst allerdings meistens der Fall gewesen war. König
     hatte ihm manchmal sogar ausdrücklich erlaubt, gewissen Leuten
     Hinweise zu geben, um sich deren Vertrauen zu erschleichen. So hatte das
     alles einst angefangen. Die ganze Misere. Nun gab es kein Zurück.   
    Gegen Mitternacht saß
     Nabel wie so oft im Sommer auf seinem Balkon über dem Körnerpark
     und beugte sich noch einmal über die ominöse Liste aus Kistners
     Nachlaß. Inzwischen ahnte er, daß ihre Sprengkraft um einiges
     höher sein mußte, als bisher befürchtet. Wie über
     einem schwierigen Schachproblem saß er und probierte mögliche Züge,
     um jene einzige Zugfolge zu finden, die zum Matt des schwarzen Königs,
     zur Lösung führen würde.
    Pfeifer hatte Lidia gegenüber
     einmal einen Kumpel in der Chemie erwähnt. Vielleicht mußte in
     diese Richtung noch härter ermittelt werden. Vielleicht hatte Pfeifer
     ein kleineres, privates Chemielabor gemeint. Aber wie etwas aus ihm
     herauskitzeln, das nicht einmal angesprochen werden durfte? So ging es
     nicht weiter. Nabel brauchte einen Verbündeten. Aber wen? Er genoß
     die sanfte, vorbeistreichende Brise, das leise Rauschen der Baumkronen,
     als das Telefon klingelte. Aus einer Konzentration gestört, die keine
     mehr war, eher ein metaphysisches Dämmern über dem Gedanken an
     die allgemeine Schlechtigkeit der Welt, profan herausgerissen aus einer
     fast idyllischen Melancholie, hob er den Hörer ans Ohr. Es war Lidia.
     Sie klang sehr aufgeregt.
    »Komm! Komm bitte
     sofort!«
    Lidia hatte den ganzen Tag,
     sofort nach Nabels Anruf, Informationen über den heimlichen Besitzer
     des Francis-Clubs, Igor Tschutschelow, zusammengetragen. Auch über
     dessen deutsche Gattin, die Gräfin Anita von Schönfels. Sie
     wurde in den Society-Spalten des Boulevards öfters erwähnt; in
     ihrer Wilmersdorfer Stadtvilla gab sie regelmäßig kleine Bälle
     und Empfänge, profan gesprochen Parties, spendete hier und da für
     gute Zwecke, war Dekoration bei fast jedem Promi-Event und zeichnete sich
     durch exquisite Garderobe und übertriebene Juwelenlast aus. Manchmal,
     jedoch selten wirklich greifbar, mehr zwischen den Zeilen, blitzte in der
     Berichterstattung leiser Spott auf, über die verarmte Gräfin aus
     der Weddinger Zweizimmerwohnung, die von einem über zwanzig Jahre
     älteren dubiosen Geschäftsmann allein ihres Titels wegen
     geehelicht worden war und dadurch in die Scheinwerfer des öffentlichen
     Interesses zurückgefunden hatte.
    In höchsten Tönen
     als Dame von Stil, Anmut, Güte und Geschmack gelobt wurde sie auffälligerweise
     in den Kolumnen Kistners, vor dem sich sonst eigentlich niemand je sicher
     fühlen durfte. Dem Bildmaterial nach zu urteilen, gab sie stets eine
     gepflegte und elegante Figur ab, wirkte ansonsten nicht übertrieben
     fotogen. Lidia sichtete und ordnete die Fotos chronologisch. Es
     existierten kaum Aufnahmen, die sie an der Seite ihres Gatten zeigten.
    Über Igor Tschutschelow,
     sechzig Jahre alt, ließen sich im Boulevard nur Stichworte finden.
     Auch sonstige Quellen zeigten sich eher ratlos in der Frage, wie dieser
     Mann zu charakterisieren sei. Er mußte nach dem Fall der Sowjetunion
     viel Geld gemacht und es rechtzeitig ins Ausland geschafft haben, auf
     welche

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