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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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– würde er nun nichts zu fürchten haben, müßte
     keine Verrenkungen machen, wäre irgendwann einmal selbst Pate
     geworden, in zehn Jahren, eventuell sogar früher, in der Blüte
     des Lebens, wenn er noch keine fünfzig sein würde.
    Die Limo reihte sich wieder
     in den abendlichen Wagenstrom auf der Potsdamer Straße ein.
    Pfeifer zu beseitigen wegen
     dem, was geschehen war, wäre strenggenommen nicht nötig. Wohl
     aber wegen dem, was geschehen würde. Pfeifer würde zwei und zwei
     zusammenzählen, und einen Wackelkandidaten wie ihn durfte ein
     erfolgversprechendes Unternehmen nicht zum Mitwisser haben. Zum jetzigen
     Zeitpunkt hätte sein Abgang unnötig Staub aufgewirbelt und die
     Drogenfahndung, auf deren Lohnliste er zweifellos stand, in Rage gebracht.
     Einzig aus diesem Grund wurde er weiterhin am Leben gelassen. Auf Dauer
     war das keine Lösung.
    Dschanow kutschierte Anita
     zur Philharmonie, ihm blieben gute zwei Stunden Zeit, bevor er sie dort
     wieder abholen mußte. Sein Kopf dröhnte.
    Immerhin, auf einen Großteil
     der Truppe konnte sich Dschanow verlassen, viele dieser Leute kannten
     Tschutschelow ja nur als Legende, vom Hörensagen, hatten ihn nie
     leiblich zu Gesicht bekommen, während sie seinen Vize, eine Person
     aus Fleisch und Blut, anhimmelten. Dschanow galt als Kumpeltyp, als
     ausgesprochen besonnener und gerechter Vorgesetzter, der nur dann härter
     wurde, wenn es nötig war.
    Einen nicht ganz so guten Rückhalt
     besaß er bei Tschutschelows Leibwächtern, die mit allen dazugehörigen
     Riten einen Eid auf ihren Boß geschworen hatten. Es waren durchweg
     schlicht geschnitzte Jungs ohne Ambitionen und Horizont, man mußte
     sich mit ihnen über die mögliche Zukunft quasi in diffusen
     Gleichnissen unterhalten, ohne je allzu konkret zu werden. Immerhin
     schienen sie Dschanow zu mögen, er tat auch sein Bestes dafür
     und spendierte ihnen manchmal Frauen, die eigentlich für die vermögende
     Kundschaft reserviert waren. Von Tschutschelow drauf angesprochen,
     verteidigte er sich mit dem Hinweis, daß sexuell zufriedene
     Untergebene als besonders verläßlich gelten, und die Mädchen
     hinterher ja noch gut zu gebrauchen seien. Männer hätten nun mal
     die atavistische Neigung, sich regelmäßig ihrer Männlichkeit
     triumphal, also ekstatisch, bewußt zu werden. Gerade berufsbedingt
     abgeschottet lebende Leibwächter bedürften ab und an kleiner /
     feuchter /enger Aufheiterungen. Tschutschelow hatte darüber
     nachgedacht, sein Okay gegeben und den einzigen Menschen, dem er so etwas
     je anvertraut hätte, gebeten, ihm gemahlenes Nashorn zu besorgen, von
     Viagra bekäme er Herzrasen.
    Dschanow ließ die auffällige
     Limo vor der Philharmonie stehen, fuhr mit dem Bus in Richtung Schöneberg,
     stieg am Winterfeldtplatz aus, wo der junge Anatol bereits auf ihn
     wartete, um Bericht zu erstatten. Nein, in der Wohnung hätten keine
     Akten herumgelegen, er habe aber vom Wohnzimmer viele Fotos gemacht und
     der Schlampe beim Gehen eins in die Fresse verpaßt.
    Anatol war ein primitiver,
     freßsüchtiger Schläger, ein Bordell-Rausschmeißer
     mit einem Kreuz wie ein Kleiderschrank und einem Gehirn von Schrippengröße.
     Er war in die Sache nicht eingeweiht; Dschanow haßte es, mit solchen
     Menschen arbeiten zu müssen. Er tat es, weil Anatol in der
     Rangordnung des Clans ganz unten rangierte. Man mußte nicht fürchten,
     daß er je einen der anderen Kapos zu Gesicht bekam. Dschanow redete
     russisch mit ihm, damit der Kerl aus der Pampa südlich von
     Dnjepropetrowsk auch alles exakt verstand. Wahrscheinlich begriff dieser
     Mensch nichtmal ansatzweise, welche Ehre es für ihn bedeutete, mit
     jemandem wie Dschanow reden zu dürfen. Er hatte die Ohrstecker seines
     MP3-Players zwar abgenommen, aber die Musik nicht ausgeschaltet, man hörte
     den monoton scheppernden Rhythmus des Schlagzeugs, dazu kaute der Kerl mit
     offenem Mund Kaugummi, verursachte nicht hinnehmbare Schmatzgeräusche.
    »Wozu?«
    »Wozu was?«
    »Seit wann schlagen wir
     Frauen?«
    Anatol, statt eine Antwort zu
     geben, glotzte verständnislos. Diese doch sehr eigenartige Frage
     wurde ihm zum ersten Mal im Leben gestellt.
    »Spuck den Kaugummi
     aus! Na los!«
    Anatol gehorchte. Dschanow riß
     ihm den MP3-Player von der Brust, warf ihn hinter sich auf die gut
     befahrene Straße. »Sag, daß es dir leid tut!«
    »Es tut mir leid.«
    »Du wirst nie wieder
     Kaugummi kauen in deinem ganzen

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