Aussortiert
– würde er nun nichts zu fürchten haben, müßte
keine Verrenkungen machen, wäre irgendwann einmal selbst Pate
geworden, in zehn Jahren, eventuell sogar früher, in der Blüte
des Lebens, wenn er noch keine fünfzig sein würde.
Die Limo reihte sich wieder
in den abendlichen Wagenstrom auf der Potsdamer Straße ein.
Pfeifer zu beseitigen wegen
dem, was geschehen war, wäre strenggenommen nicht nötig. Wohl
aber wegen dem, was geschehen würde. Pfeifer würde zwei und zwei
zusammenzählen, und einen Wackelkandidaten wie ihn durfte ein
erfolgversprechendes Unternehmen nicht zum Mitwisser haben. Zum jetzigen
Zeitpunkt hätte sein Abgang unnötig Staub aufgewirbelt und die
Drogenfahndung, auf deren Lohnliste er zweifellos stand, in Rage gebracht.
Einzig aus diesem Grund wurde er weiterhin am Leben gelassen. Auf Dauer
war das keine Lösung.
Dschanow kutschierte Anita
zur Philharmonie, ihm blieben gute zwei Stunden Zeit, bevor er sie dort
wieder abholen mußte. Sein Kopf dröhnte.
Immerhin, auf einen Großteil
der Truppe konnte sich Dschanow verlassen, viele dieser Leute kannten
Tschutschelow ja nur als Legende, vom Hörensagen, hatten ihn nie
leiblich zu Gesicht bekommen, während sie seinen Vize, eine Person
aus Fleisch und Blut, anhimmelten. Dschanow galt als Kumpeltyp, als
ausgesprochen besonnener und gerechter Vorgesetzter, der nur dann härter
wurde, wenn es nötig war.
Einen nicht ganz so guten Rückhalt
besaß er bei Tschutschelows Leibwächtern, die mit allen dazugehörigen
Riten einen Eid auf ihren Boß geschworen hatten. Es waren durchweg
schlicht geschnitzte Jungs ohne Ambitionen und Horizont, man mußte
sich mit ihnen über die mögliche Zukunft quasi in diffusen
Gleichnissen unterhalten, ohne je allzu konkret zu werden. Immerhin
schienen sie Dschanow zu mögen, er tat auch sein Bestes dafür
und spendierte ihnen manchmal Frauen, die eigentlich für die vermögende
Kundschaft reserviert waren. Von Tschutschelow drauf angesprochen,
verteidigte er sich mit dem Hinweis, daß sexuell zufriedene
Untergebene als besonders verläßlich gelten, und die Mädchen
hinterher ja noch gut zu gebrauchen seien. Männer hätten nun mal
die atavistische Neigung, sich regelmäßig ihrer Männlichkeit
triumphal, also ekstatisch, bewußt zu werden. Gerade berufsbedingt
abgeschottet lebende Leibwächter bedürften ab und an kleiner /
feuchter /enger Aufheiterungen. Tschutschelow hatte darüber
nachgedacht, sein Okay gegeben und den einzigen Menschen, dem er so etwas
je anvertraut hätte, gebeten, ihm gemahlenes Nashorn zu besorgen, von
Viagra bekäme er Herzrasen.
Dschanow ließ die auffällige
Limo vor der Philharmonie stehen, fuhr mit dem Bus in Richtung Schöneberg,
stieg am Winterfeldtplatz aus, wo der junge Anatol bereits auf ihn
wartete, um Bericht zu erstatten. Nein, in der Wohnung hätten keine
Akten herumgelegen, er habe aber vom Wohnzimmer viele Fotos gemacht und
der Schlampe beim Gehen eins in die Fresse verpaßt.
Anatol war ein primitiver,
freßsüchtiger Schläger, ein Bordell-Rausschmeißer
mit einem Kreuz wie ein Kleiderschrank und einem Gehirn von Schrippengröße.
Er war in die Sache nicht eingeweiht; Dschanow haßte es, mit solchen
Menschen arbeiten zu müssen. Er tat es, weil Anatol in der
Rangordnung des Clans ganz unten rangierte. Man mußte nicht fürchten,
daß er je einen der anderen Kapos zu Gesicht bekam. Dschanow redete
russisch mit ihm, damit der Kerl aus der Pampa südlich von
Dnjepropetrowsk auch alles exakt verstand. Wahrscheinlich begriff dieser
Mensch nichtmal ansatzweise, welche Ehre es für ihn bedeutete, mit
jemandem wie Dschanow reden zu dürfen. Er hatte die Ohrstecker seines
MP3-Players zwar abgenommen, aber die Musik nicht ausgeschaltet, man hörte
den monoton scheppernden Rhythmus des Schlagzeugs, dazu kaute der Kerl mit
offenem Mund Kaugummi, verursachte nicht hinnehmbare Schmatzgeräusche.
»Wozu?«
»Wozu was?«
»Seit wann schlagen wir
Frauen?«
Anatol, statt eine Antwort zu
geben, glotzte verständnislos. Diese doch sehr eigenartige Frage
wurde ihm zum ersten Mal im Leben gestellt.
»Spuck den Kaugummi
aus! Na los!«
Anatol gehorchte. Dschanow riß
ihm den MP3-Player von der Brust, warf ihn hinter sich auf die gut
befahrene Straße. »Sag, daß es dir leid tut!«
»Es tut mir leid.«
»Du wirst nie wieder
Kaugummi kauen in deinem ganzen
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