Aussortiert
treibende Kraft ist.«
Lidia insistierte. »Aber
angenommen, er hinge – irgendwie – mit drin. Was würdest
du tun?«
»Wie – was tun?
Wie meinst du das?« Nabel bemerkte an Lidias Fragen einen spitzen
Unterton.
»Es wär dir doch
sicher lieber, er hinge da nicht drin, egal wie.«
»Ja, Ja, sicher. Soll
ich mir ernsthaft wünschen, gegen ranghöhere Kollegen …?
Was willst du sagen? Hältst du mich für feige?«
»Nein, um Himmels
willen, nein, du bist dumm, Kai.«
»Also nicht feige, aber
dumm. Danke.«
Lidia gab ihm einen Schubser
gegen die Schulter. Sie hatte ihm doch nur andeuten wollen, daß sie
Verständnis dafür zeigen würde, wenn Kai den Kampf gegen
Windmühlen vermied und um König herumermittelte. Nur solle er
ihr dies zu gegebener Zeit mitteilen, darum bat sie ihn. Er nickte und
beide lächelten sich an, ein paar Augenblicke länger, als es die
Situation erforderte. Lidia schob schnell eine Frage hinterher, um der
entstandenen Atmosphäre etwas sozusagen Dienstliches zurückzugeben.
»Gehen wir inzwischen davon aus, daß es immer ein anderer Täter
ist?«
»Was? Oh –«
Nabel schien wie aus einem Sekundenschlaf gerissen. »Naja. Kann auch
immer ein und derselbe sein. Das ist – unwichtig. Ob ein Handlanger
oder mehrere, was tut das zur Sache? Du solltest dich nochmal um das
Profil des Auftraggebers kümmern, unter der Prämisse, daß
es um Geld geht, um rationale Motive. Ich meine, wenn wir richtig liegen
– und wir können immer noch ganz falsch liegen –, dann
handelt es sich um jemanden, der es zum Führungskader einer
kriminellen Organisation gebracht hat, der zugleich eine etwas romantisch
angehauchte Phantasie besitzt. Dennoch: Wir müssen weiterhin die Möglichkeit
respektieren, daß es sich um einen Einzeltäter handelt, der aus
ebenfalls rationalen, aber uns unbekannten Motiven agiert.«
»Was für Motive könnten
das sein?«
»Keine Ahnung. Die
ganze Palette. Eifersucht, Angst, Neid, Demütigung, Frust, Gier,
Rache, Verblendung. Alles, was Menschen dazu bringt, andere aus dem Weg
schaffen zu wollen. Es gibt so viele Gründe, daß man sich
wundern muß, wenn überhaupt noch jemand im Bett stirbt.«
»Paß gut auf dich
auf, Kai.«
»Mach ich.«
19
Ahmed hatte sich umgehört.
Die türkischen Drogenkartelle Berlins waren relativ transparent, es
gab fünf Familien, die etwas mehr zu sagen hatten als die anderen,
zwei davon lagen in einer blutigen Dauerfehde, die übrigen verhielten
sich neutral. Hauptsächlich ging es den Gangs um Heroin und
Haschisch, sie versorgten die einfachen Leute auf der Straße. Koks
und Amphetamine blieben ein Nebengeschäft, die Preise waren zwar
stark gesunken, und viele probierten die Droge mal aus, aber noch konnten
sich nur Besserverdiener den Stoff regelmäßig und in einem für
den Vertrieb interessanten Rahmen leisten. Seit dem Drogendezernat einige
empfindliche Schläge gegen die kolumbianischen Kartelle gelungen
waren, schwemmten die wie zum Trotz riesige Mengen nach Europa, über
Gebühr gestrecktes Zeug, billig, aber lausig, die Konsumenten
beschwerten sich. Auf diese Weise wurden vereinzelte nichtkolumbianische Südamerikaner
in die Stadt gelockt, wagemutige Abenteurer, die ohne Zwischenhändler
agierten und ein großes Geschäft witterten. Allerdings hatten
sie noch keine starken logistischen Strukturen aufbauen können, und
wo einzelne Vorposten es versuchten, wurden sie von den Türken massiv
bekämpft. Als hierin besonders kompromißlos galt Mahmud Ümal,
Chef einer angeblich tausendköpfigen Familie. Seine Kapos fuhren in
provokanter Offenheit mit ihren BMW und Porsche-Cabrios den Ku’damm
auf und ab und versorgten Konsumenten gegen entsprechenden Aufpreis mit
weißem Pulver der etwas besseren Qualität.
Das alles erfuhr Ahmed nicht
etwa von Schwippschwagern oder sonstigen Verwandten, sondern viel profaner
von einem deutschen Journalisten der linken Tageszeitung, der darüber
sogar einen langen Artikel verfaßt und veröffentlicht hatte,
einen Artikel, der merkwürdig folgenlos geblieben war. Der Journalist
war weder bedroht worden, noch hatte der Handel seither abgenommen. Es
wirkte so, als könne der Ümal-Clan sich seiner Sache relativ
sicher sein und mit nobler Gleichmut reagieren. Bestimmt nicht unwichtig
war, daß Ornat niemals mit physischer Gewalt gegen deutsche
Staatsangehörige vorging.
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