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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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treibende Kraft ist.«
    Lidia insistierte. »Aber
     angenommen, er hinge – irgendwie – mit drin. Was würdest
     du tun?«
    »Wie – was tun?
     Wie meinst du das?« Nabel bemerkte an Lidias Fragen einen spitzen
     Unterton.
    »Es wär dir doch
     sicher lieber, er hinge da nicht drin, egal wie.«
    »Ja, Ja, sicher. Soll
     ich mir ernsthaft wünschen, gegen ranghöhere Kollegen …?
     Was willst du sagen? Hältst du mich für feige?«
    »Nein, um Himmels
     willen, nein, du bist dumm, Kai.«
    »Also nicht feige, aber
     dumm. Danke.«
    Lidia gab ihm einen Schubser
     gegen die Schulter. Sie hatte ihm doch nur andeuten wollen, daß sie
     Verständnis dafür zeigen würde, wenn Kai den Kampf gegen
     Windmühlen vermied und um König herumermittelte. Nur solle er
     ihr dies zu gegebener Zeit mitteilen, darum bat sie ihn. Er nickte und
     beide lächelten sich an, ein paar Augenblicke länger, als es die
     Situation erforderte. Lidia schob schnell eine Frage hinterher, um der
     entstandenen Atmosphäre etwas sozusagen Dienstliches zurückzugeben.
     »Gehen wir inzwischen davon aus, daß es immer ein anderer Täter
     ist?«
    »Was? Oh –«
     Nabel schien wie aus einem Sekundenschlaf gerissen. »Naja. Kann auch
     immer ein und derselbe sein. Das ist – unwichtig. Ob ein Handlanger
     oder mehrere, was tut das zur Sache? Du solltest dich nochmal um das
     Profil des Auftraggebers kümmern, unter der Prämisse, daß
     es um Geld geht, um rationale Motive. Ich meine, wenn wir richtig liegen
     – und wir können immer noch ganz falsch liegen –, dann
     handelt es sich um jemanden, der es zum Führungskader einer
     kriminellen Organisation gebracht hat, der zugleich eine etwas romantisch
     angehauchte Phantasie besitzt. Dennoch: Wir müssen weiterhin die Möglichkeit
     respektieren, daß es sich um einen Einzeltäter handelt, der aus
     ebenfalls rationalen, aber uns unbekannten Motiven agiert.«
    »Was für Motive könnten
     das sein?«
    »Keine Ahnung. Die
     ganze Palette. Eifersucht, Angst, Neid, Demütigung, Frust, Gier,
     Rache, Verblendung. Alles, was Menschen dazu bringt, andere aus dem Weg
     schaffen zu wollen. Es gibt so viele Gründe, daß man sich
     wundern muß, wenn überhaupt noch jemand im Bett stirbt.«
    »Paß gut auf dich
     auf, Kai.«
    »Mach ich.«

 
    19
    Ahmed hatte sich umgehört.
     Die türkischen Drogenkartelle Berlins waren relativ transparent, es
     gab fünf Familien, die etwas mehr zu sagen hatten als die anderen,
     zwei davon lagen in einer blutigen Dauerfehde, die übrigen verhielten
     sich neutral. Hauptsächlich ging es den Gangs um Heroin und
     Haschisch, sie versorgten die einfachen Leute auf der Straße. Koks
     und Amphetamine blieben ein Nebengeschäft, die Preise waren zwar
     stark gesunken, und viele probierten die Droge mal aus, aber noch konnten
     sich nur Besserverdiener den Stoff regelmäßig und in einem für
     den Vertrieb interessanten Rahmen leisten. Seit dem Drogendezernat einige
     empfindliche Schläge gegen die kolumbianischen Kartelle gelungen
     waren, schwemmten die wie zum Trotz riesige Mengen nach Europa, über
     Gebühr gestrecktes Zeug, billig, aber lausig, die Konsumenten
     beschwerten sich. Auf diese Weise wurden vereinzelte nichtkolumbianische Südamerikaner
     in die Stadt gelockt, wagemutige Abenteurer, die ohne Zwischenhändler
     agierten und ein großes Geschäft witterten. Allerdings hatten
     sie noch keine starken logistischen Strukturen aufbauen können, und
     wo einzelne Vorposten es versuchten, wurden sie von den Türken massiv
     bekämpft. Als hierin besonders kompromißlos galt Mahmud Ümal,
     Chef einer angeblich tausendköpfigen Familie. Seine Kapos fuhren in
     provokanter Offenheit mit ihren BMW und Porsche-Cabrios den Ku’damm
     auf und ab und versorgten Konsumenten gegen entsprechenden Aufpreis mit
     weißem Pulver der etwas besseren Qualität.
    Das alles erfuhr Ahmed nicht
     etwa von Schwippschwagern oder sonstigen Verwandten, sondern viel profaner
     von einem deutschen Journalisten der linken Tageszeitung, der darüber
     sogar einen langen Artikel verfaßt und veröffentlicht hatte,
     einen Artikel, der merkwürdig folgenlos geblieben war. Der Journalist
     war weder bedroht worden, noch hatte der Handel seither abgenommen. Es
     wirkte so, als könne der Ümal-Clan sich seiner Sache relativ
     sicher sein und mit nobler Gleichmut reagieren. Bestimmt nicht unwichtig
     war, daß Ornat niemals mit physischer Gewalt gegen deutsche
     Staatsangehörige vorging.

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