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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Zwistigkeiten wurden allein unter Türken
     oder anderen Ausländern ausgetragen, dann aber mit aller Härte.
     Die deutschen Kriminellen hatten die Hauptstadt längst verloren, was
     Drogen betraf. Einige wenige waren noch im Nuttengeschäft tätig,
     aber in den anderen Straßensportarten hatten sie sich fast
     ausnahmslos als zu weich und lebensfroh gezeigt und Türken und
     Albanern ihr einstiges Terrain überlassen. Die Albaner genossen einen
     besonders furchteinflößenden Ruf. Denen war scheinbar alles
     egal, ihre Brutalität, ihre Verachtung jeglichen Lebens, selbst des
     eigenen, überstieg jede humane Vorstellungskraft. Die Türken
     verteidigten ihre Bastionen in Neukölln, Kreuzberg und Treptow. Weite
     Teile von Charlottenburg-Nord und Mitte waren bereits in albanischer Hand,
     und selbst die als hart geltenden Russen und Weißrussen wurden ins
     Abseits gedrängt. Ahmed verstand die lasche behördliche
     Vorgehensweise, um nicht zu sagen: Duldung der Türken als Inkaufnahme
     des geringeren Übels im Vergleich zu dem, was sonst die Stadt zu
     überschwemmen drohte. Das alles hatte er an einem einzigen Nachmittag
     recherchiert, was nahelegte, daß der dahinterliegende Sumpf jede
     Dimension der Phantasie sprengte.
    Nabel fühlte sich jung
     und fit wie lange nicht. Lidias Bitte zum Abschied, er solle gut auf sich
     aufpassen, hatte ihn regelrecht euphorisiert. Er mochte sich täuschen,
     aber es hatte eben was in der Luft gelegen, ein kleines umherflatterndes Küßchen
     oder ein Streicheln der Wange, etwas Zartes, Fragiles. Jetzt lief er wie
     auf Sprungfedern durchs nächtliche Kreuzberg, spürte keine Lust,
     ein Taxi heranzupfeifen, bog im Dauerlauf in die Gneisenaustraße
     Richtung Südstern ein und kam an der Schleiermacherstraße
     vorbei. Jetzt, da König Pfeifer als sein U-Boot benannt und enttarnt
     hatte, lag im Grunde eine ganz neue Situation vor. Es war kurz vor
     Mitternacht, noch nicht zu spät für einen kurzen Besuch.
    Aber was wollte er von
     Pfeifer wissen? Welche Wörter und Begriffe durfte er verwenden,
     welche lieber nicht? Nabel zauderte, wollte nicht in die Aktivismus-Falle
     tappen. So vieles mußte bedacht werden.
    Pfeifer war mehrmals in
     Lidias Wohnung gewesen. Er hätte sich auf irgendeine Weise einen
     Abdruck ihres Wohnungsschlüssels machen können, das würde
     erklären, weshalb keine Einbruchspuren gefunden wurden. Aber es war
     nicht Pfeifer gewesen, der Lidia den Fausthieb versetzt hatte. Lidia hatte
     außer Schemen kaum was erkennen können, nur daß der Täter
     ein bulliger, kräftiger und schwerer Typ gewesen war. Das traf auf
     den Leptosom Pfeifer sicher nicht zu. Und wozu hätte der die Tat in
     Auftrag geben sollen? Was konnte man bei Lidia gesucht haben? Die Liste,
     natürlich, Kistners Liste. Pfeiler hatte vielleicht mitbekommen, daß
     Lidia sich oftmals aus dem Büro Arbeit mit nach Hause nahm.
    Den Überfall hatten
     Lidia und Nabel für sich behalten. Es wurde keine Anzeige erstattet,
     niemand außer den beiden wußte davon, ausgenommen natürlich
     der Schläger selbst und dessen Hintergrundeminenzen. Vielleicht war
     dies der Ausgangspunkt, der Hebel, um Pfeifer ein wenig auf den Busch zu
     klopfen oder ihn gar dazu zu bringen, daß er sich verplapperte.
    Nabel drückte den
     Klingelknopf. Letzten Endes nur aus einem Grund – weil er sich
     anachronistisch jung fühlte und nicht bereit war, die angebrochene
     Nacht in Ruhe austrudeln zu lassen. Als jedoch auf mehrmaliges Klingeln
     hin niemand öffnete, fühlte er sich nicht enttäuscht, eher
     erleichtert.
    Am nächsten Morgen
     entschloß sich Nabel zu einer veränderten Strategie. Das
     Potential von Kistners Liste wollte er nicht mehr unbenutzt lassen. Von
     ›Kistners Liste‹ sollte dabei nicht die Rede sein.
     Zweifelsfrei identifizierbare Namen von Prominenten, die sich auf der
     Liste befanden, schrieb Nabel heraus. Gezielte Einzelgespräche
     sollten, in diskreter Atmosphäre, ohne Staub aufzuwirbeln, die
     Betreffenden aus der Reserve locken. Dazu war es nötig, daß der
     wesentliche Punkt angesprochen, aufs Tapet gebracht wurde, dies jedoch von
     erfahrenen Mitarbeitern, die die feine Kunst der Anspielung verstanden
     und, auf der Tragfläche eines künftigen Stillschweigeabkommens,
     Angst schüren konnten, ohne gleich Panik auszulösen.
    Er stellte eine Arbeitsgruppe
     zusammen und gab grobe Richtlinien vor. Die Beamten sollten während
     des Gesprächs folgende Fragen

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