Aussortiert
hellen Eindruck gemacht. Die hatte ich im Griff.« Anita
zog ihren Lippenstift nach und zweifelte an der Wahl ihrer Schuhe.
»Du hättest dich
mit Kistner nie einlassen sollen.«
»Ach was? Immer noch
eifersüchtig? Das war reines Business!«
»Und auf diesen Pfeifer
hättest du dich auch nie einlassen sollen.«
»Halt an!«
»Was?«
»Halt sofort an!«
Dschanow fuhr die Limo rechts
ran, auf die Bushaltestelle kurz vor der Kreuzung zur Kurfürstenstraße.
Anita schob ihren Oberkörper zwischen die Vordersitze.
»Jetzt paß mal
auf: Du wirst mir nie mehr sagen, was ich tun und was ich lassen soll,
kapiert? Du bist immer noch mein Chauffeur, und was du sonst noch bist,
egal, aber du bist nicht mein Mann, der mir irgendwas vorzuschreiben hätte,
ist das ein für alle Mal klar?«
Dschanow gab keine Antwort,
senkte stattdessen den Kopf und räusperte sich.
»Ich will nur dein
Bestes, Anita!«
»Nein, du willst dein
Bestes, bestenfalls unser Bestes. Mach mir nichts vor.«
18
Igor Tschutschelow hatte
beinahe alles erreicht, was je ein Mensch erreichen kann, ohne mühsamer
legaler Arbeit nachzugehen. Wobei er selbst seine Arbeit als besonders mühsam
und durchaus legal beurteilt hätte, ohne deswegen beim Lügendetektortest
durchzufallen. Er war ohne gravierende Wunden in die Jahre gekommen und
blickte auf sein Lebenswerk mit einigem Stolz herab. Vom kleinen
ukrainischen Grenzdorf, wo es in seiner Jugend Strom nur sechs Stunden am
Tag gegeben hatte und die Heizung im Winter höchstens eine
Raumtemperatur von vierzehn Grad zuließ, war es ein weiter und
schlachtenreicher Weg zur Wilmersdorfer Villa gewesen, die zu jeder Tages-
und Nachtzeit von vier bewaffneten Bodyguards bewacht wurde. Dachte er darüber
nach, konnte er zufrieden sein, dachte er aber nicht darüber nach,
war er latent unzufrieden. Es gehört zu den schlechten Gewohnheiten
in die Jahre gekommener Männer, sich zu oft und zu kritisch das
eigene Spiegelbild anzusehen. Tschutschelows Mißtrauen wuchs in
jenem Maß, in dem das eigene Spiegelbild nicht genau das wiedergab,
was er von ihm erwartete. Je schneller das Leben aus ihm schwand (dabei
schwand es momentan noch langsam), desto stärker versuchte er, es zu
packen und festzuhalten. In seiner Position hatte gesundes Mißtrauen
von jeher zu den Grundpfeilern der Machterhaltung gehört, in den
letzten Monaten jedoch begann er auch seiner engsten Umgebung zu mißtrauen,
jenem kleinen Kreis von Menschen, dem auch ein mächtiger Mann
unbedingt Vertrauen schenken muß, um psychisch nicht zu erkranken.
Die Ehe mit Anita hatte Phasen gegenseitig stumm geduldeter Freizügigkeit
enthalten, er hatte Geliebte gehabt, echte Geliebte, nicht nur Mädchen,
die zur schnellen Saturierung sexueller Bedürfnisse dienten. Anita
war ab und an fremdgegangen, ihm war das klar gewesen, und er hatte beide
Augen zugedrückt, solange sie diskret blieb. Durch das Nachlassen
seiner Libido, verbunden mit frustrierender Impotenz, ließ auch
seine Duldsamkeit nach, es kam zu Auseinandersetzungen, sogar nonverbaler
Natur. Von der Logik geleitet, daß, wo er nun enthaltsam lebe, sie
sich ihm gefälligst anpassen müsse, versuchte er Anita in einen,
wenn auch goldenen, Käfig zu sperren. Leider hatte sich Anita eine
gesellschaftliche Existenz aufgebaut, die es ihr ermöglichte, sich
regelmäßig seiner Überwachung zu entziehen. Sie verkehrte,
sobald sie wohltätig und ehrenamtlich unterwegs war, in Kreisen, zu
denen seine Leute schlicht keinen Zugang erhielten. Tschutschelow war
gezwungen, sich auf Informanten zu verlassen, die nicht aus den eigenen
Reihen stammten. Jimmy Kistner zum Beispiel war jemand gewesen, den er
indirekt auf die eigene Gattin angesetzt hatte, ohne daß dies
zwischen den beiden Männern je explizit vereinbart worden wäre.
Er fragte ihn hier und da, meist telefonisch, dies und das, und was
Kistner, der keineswegs dumm war, an Informationen lieferte, brachte ihm
prompt Tschutschelows Dank in Form von menschlichen Naturalien ein.
Kistner hatte ein Faible für junge, ostslawische Mädchen mit
bleicher Haut und kleinen Brüsten gehabt, bevorzugt noch mit roten
Ponyfrisuren. Und weil Kistner nicht nur nicht dumm, sondern in dieser
Hinsicht beinahe schlau war, lieferte er stets nur Informationen, die
Anita zwar ein wenig, aber nicht allzusehr belasteten. Nie hatte er etwas
preisgegeben,
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