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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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von dem er sicher sein konnte, daß es mit blanker Wut
     aufgenommen werden würde. Es war ein funktionierendes System aus
     diversen Wirkfaktoren entstanden, unter denen der Selbstbetrug eine primäre
     Rolle besetzte. Tschutschelow wollte sich die Illusion bewahren, Anita
     immer und überall überwachen zu können, gleichzeitig hing
     er der Illusion nach, sie sei, von kleineren Ausrutschern abgesehen, im
     Grunde körperlich treu und geistig loyal. Die Nachricht, daß
     sie hin und wieder Kokain schnupfte, ärgerte ihn, er selbst hatte ein
     Leben lang strikt darauf verzichtet, angesichts so vieler einstiger
     Konkurrenten, denen Drogen zum Verhängnis geworden waren. Doch
     anscheinend gehörte in den heutigen Zeiten Koks zu den Accessoires
     der höheren Kreise, und er sprach seine Gattin nie darauf an. Sie
     sollte ihre kleinen Geheimnisse haben, solange es in seinen Augen keine
     wirklichen Geheimnisse waren.       
    Plötzlich hatte ein Verrückter
     Kistner ermordet, und Tschutschelow war auf neue Quellen angewiesen. Anita
     war beobachtet worden, wie sie sich mit einem noch jungen Mann traf, einem
     Streifenpolizisten namens Pfeifer, das fand Tschutschelow ungeheuerlich,
     nicht den jungen Mann an sich, mehr den Streifenpolizisten. Tschutschelow
     hatte seinen engsten Mitarbeiter, seinen Vize Ruslan Dschanow, den er wie
     einen Sohn liebte und den er irgendwann zu seinem Nachfolger machen
     wollte, gebeten, jenen sonderbaren Bullen zu durchleuchten. Dschanow hatte
     der Bitte entsprochen und hinterher seinem Boß Bericht erstattet.
     Der korrupte Pfeifer sei kein gewöhnlicher Streifenpolizist, er
     versorge Anita und noch etliche andere mit Stoff, sehr gutem Stoff,
     ansonsten wäre da nichts im Gange und Pfeifer sei, wenn nicht gerade
     notgeil, tendenziell eher schwul. Dschanow konnte seinen Paten halbwegs
     beruhigen. Daß Pfeifer nicht nur, in mehrfacher Hinsicht,
     zweigleisig fuhr, sondern vorhatte, aus seinem armseligen Leben
     entschieden mehr zu machen, begriff Dschanow erst etwas später.
     Pfeifer hatte, wohl zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben, eine
     tolle Idee gehabt, bekam eine Audienz bei Ümal und unterbreitete ihm
     ein ebenso waghalsiges wie verlockendes Angebot. Was da genau gelaufen
     war, bekam Dschanow peu à peu heraus – als er Anita deswegen
     später zur Rede stellte, schloß sie, ob notgedrungen oder
     nicht, das blieb die Frage, einen Pakt mit ihm, der durch ihren ersten
     gemeinsamen Geschlechtsakt besiegelt wurde.
    Das Ganze vor Tschutschelow
     geheimzuhalten war ein nervenzerrender Drahtseilakt. Dschanow litt seither
     unter Depressionen. Anitas reichlich kranke Phantasie, nebst ihrem
     abenteuerlichen Ehrgeiz und ihrer Arroganz, machten das zuvor relativ
     bequeme und ruhige Leben Dschanows zur Hölle. Aber nun gab es keinen
     Weg zurück.
    Kistner war inzwischen tot,
     was Dschanow etwas beruhigte, und Pfeifer wurde, sobald ihm der Stoff
     ausging, vom Drahtzieher zum Spielball degradiert. Zwar versuchte er, sich
     bei allen Seiten als nützlich zu erweisen, Verbündete zu suchen,
     doch seine Nützlichkeit, sofern überhaupt vorhanden, bekam ein
     Haltbarkeitsdatum aufgestempelt. Dschanow ließ ihn observieren und,
     wenn es nottat, seine Geringfügigkeit spüren. Pfeifer versagte
     als Informant – die Razzia im Techno-Club hätte er melden müssen
     –, außerdem hatte er offenbar was mit einer Kommissarin
     laufen, die zur Soko Lila gehörte. Das ging so nicht. Definitiv
     nicht, egal aus welchem Grund. Dschanow schickte seine Adjutanten auf
     erste Sondierungs- und Einschüchterungstourneen, während Anita
     unbeirrt dabei war, in aller Heimlichkeit Verhandlungen mit Ümal zu führen.
     Ein komplexes Gebilde aus gegenseitigen Abhängigkeiten war
     entstanden, und Dschanow verfluchte regelmäßig den Abend, an
     dem er sich mit der Frau seines Paten eingelassen hatte. Ihm brummte der
     Schädel. So vieles war zu bedenken und abzuwägen,
     einzukalkulieren, und dieses dummdreiste Weib hatte noch die Stirn, ihn
     rechts ranfahren zu lassen, ihn von oben herab anzugiften, wie einen
     Schuljungen. Er wehrte sich nicht, schaltete auf Durchzug, räusperte
     sich und murmelte: »Ich will nur dein Bestes, Anita!«
    Sie keifte irgend etwas, er hörte
     nicht hin und dachte nach. Er war immer der Intelligenteste in
     Tschutschelows Truppe gewesen, jedenfalls bis zu jenem fatalen Fick mit
     Anita. Ohne diesen sauerstoffarmen Moment – er haßte sich dafür
    

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