Aussortiert
von dem er sicher sein konnte, daß es mit blanker Wut
aufgenommen werden würde. Es war ein funktionierendes System aus
diversen Wirkfaktoren entstanden, unter denen der Selbstbetrug eine primäre
Rolle besetzte. Tschutschelow wollte sich die Illusion bewahren, Anita
immer und überall überwachen zu können, gleichzeitig hing
er der Illusion nach, sie sei, von kleineren Ausrutschern abgesehen, im
Grunde körperlich treu und geistig loyal. Die Nachricht, daß
sie hin und wieder Kokain schnupfte, ärgerte ihn, er selbst hatte ein
Leben lang strikt darauf verzichtet, angesichts so vieler einstiger
Konkurrenten, denen Drogen zum Verhängnis geworden waren. Doch
anscheinend gehörte in den heutigen Zeiten Koks zu den Accessoires
der höheren Kreise, und er sprach seine Gattin nie darauf an. Sie
sollte ihre kleinen Geheimnisse haben, solange es in seinen Augen keine
wirklichen Geheimnisse waren.
Plötzlich hatte ein Verrückter
Kistner ermordet, und Tschutschelow war auf neue Quellen angewiesen. Anita
war beobachtet worden, wie sie sich mit einem noch jungen Mann traf, einem
Streifenpolizisten namens Pfeifer, das fand Tschutschelow ungeheuerlich,
nicht den jungen Mann an sich, mehr den Streifenpolizisten. Tschutschelow
hatte seinen engsten Mitarbeiter, seinen Vize Ruslan Dschanow, den er wie
einen Sohn liebte und den er irgendwann zu seinem Nachfolger machen
wollte, gebeten, jenen sonderbaren Bullen zu durchleuchten. Dschanow hatte
der Bitte entsprochen und hinterher seinem Boß Bericht erstattet.
Der korrupte Pfeifer sei kein gewöhnlicher Streifenpolizist, er
versorge Anita und noch etliche andere mit Stoff, sehr gutem Stoff,
ansonsten wäre da nichts im Gange und Pfeifer sei, wenn nicht gerade
notgeil, tendenziell eher schwul. Dschanow konnte seinen Paten halbwegs
beruhigen. Daß Pfeifer nicht nur, in mehrfacher Hinsicht,
zweigleisig fuhr, sondern vorhatte, aus seinem armseligen Leben
entschieden mehr zu machen, begriff Dschanow erst etwas später.
Pfeifer hatte, wohl zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben, eine
tolle Idee gehabt, bekam eine Audienz bei Ümal und unterbreitete ihm
ein ebenso waghalsiges wie verlockendes Angebot. Was da genau gelaufen
war, bekam Dschanow peu à peu heraus – als er Anita deswegen
später zur Rede stellte, schloß sie, ob notgedrungen oder
nicht, das blieb die Frage, einen Pakt mit ihm, der durch ihren ersten
gemeinsamen Geschlechtsakt besiegelt wurde.
Das Ganze vor Tschutschelow
geheimzuhalten war ein nervenzerrender Drahtseilakt. Dschanow litt seither
unter Depressionen. Anitas reichlich kranke Phantasie, nebst ihrem
abenteuerlichen Ehrgeiz und ihrer Arroganz, machten das zuvor relativ
bequeme und ruhige Leben Dschanows zur Hölle. Aber nun gab es keinen
Weg zurück.
Kistner war inzwischen tot,
was Dschanow etwas beruhigte, und Pfeifer wurde, sobald ihm der Stoff
ausging, vom Drahtzieher zum Spielball degradiert. Zwar versuchte er, sich
bei allen Seiten als nützlich zu erweisen, Verbündete zu suchen,
doch seine Nützlichkeit, sofern überhaupt vorhanden, bekam ein
Haltbarkeitsdatum aufgestempelt. Dschanow ließ ihn observieren und,
wenn es nottat, seine Geringfügigkeit spüren. Pfeifer versagte
als Informant – die Razzia im Techno-Club hätte er melden müssen
–, außerdem hatte er offenbar was mit einer Kommissarin
laufen, die zur Soko Lila gehörte. Das ging so nicht. Definitiv
nicht, egal aus welchem Grund. Dschanow schickte seine Adjutanten auf
erste Sondierungs- und Einschüchterungstourneen, während Anita
unbeirrt dabei war, in aller Heimlichkeit Verhandlungen mit Ümal zu führen.
Ein komplexes Gebilde aus gegenseitigen Abhängigkeiten war
entstanden, und Dschanow verfluchte regelmäßig den Abend, an
dem er sich mit der Frau seines Paten eingelassen hatte. Ihm brummte der
Schädel. So vieles war zu bedenken und abzuwägen,
einzukalkulieren, und dieses dummdreiste Weib hatte noch die Stirn, ihn
rechts ranfahren zu lassen, ihn von oben herab anzugiften, wie einen
Schuljungen. Er wehrte sich nicht, schaltete auf Durchzug, räusperte
sich und murmelte: »Ich will nur dein Bestes, Anita!«
Sie keifte irgend etwas, er hörte
nicht hin und dachte nach. Er war immer der Intelligenteste in
Tschutschelows Truppe gewesen, jedenfalls bis zu jenem fatalen Fick mit
Anita. Ohne diesen sauerstoffarmen Moment – er haßte sich dafür
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