Aussortiert
ich mir vorhin überlegt habe? Wie Sie als Kronzeuge
wirken würden. Glauben Sie ernsthaft, irgendein Staatsanwalt würde
mit Ihnen als Zeugen ein Verfahren eröffnen? Albern. Ümal ist
doch nicht blöd. König war wichtig. Sie sind nur ein Stück
Dreck. Hauen Sie ab, in die Karibik, ich werde die Fahndung abbrechen
lassen, los, ziehen Sie Leine!«
Pfeifer starrte ihn an. Mit
weit offenen Augen, die die neue Situation vergeblich zu taxieren
versuchten, in denen aber neue Hoffnung leuchtete.
»Sie lassen mich
einfach so laufen?«
»Ungern. Geben Sie Ihre
Pistole her! Ich sorge dafür, daß Sie nicht behelligt werden.
Nehmen Sie den 13-Uhr Zug nach Amsterdam und von dort ein Schiff. Raus
jetzt!«
David Pfeifer legte, nach
kurzem Zögern, die Pistole auf den Küchentisch und rannte durch
die noch angelehnte Tür die Treppen hinunter. Nabel hatte ihn richtig
eingeschätzt. Glücklicherweise. Wenn man auf etwas bauen kann,
auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner, ist es die Todesangst. Die
allermeisten Menschen auf dem Niveau Pfeifers würden so gut wie alles
tun, um ihr Leben zu verlängern. Ausnahmen heroischer Art kommen
meist nur aufgrund irgendeines Zeitdrucks oder Hormonschubs zustande.
Besitzen solche Typen Zeit genug zu überlegen, wollen sie auch überleben.
Kurz nachdem Pfeifer die
Wohnung verlassen hatte, telefonierte Nabel mit dem Revier, hob die
Fahndung nach Pfeifer auf, und aus Gründen, die er für sich
behielt, befahl er Ahmed, die Adressen der beiden Schwestern zu eruieren
und Beamte hinzuschicken, für alle Fälle.
23
Kriminaloberrat Dr. Seidel
ließ seinen Unmut an Lidia aus, indem er sie mittags aus dem Bett
klingelte und sie telefonisch in sein Büro zitierte.
Was da los sei? An einem so
ereignisreichen Tag melde sich Nabel einfach krank, das sei ja wohl das
letzte, wahrscheinlich habe er gesoffen. Und was das mit Pfeifer zu
bedeuten habe? Erst jage er, ohne jede Begründung, einen Polizisten,
dann lasse er die Fahndung wieder fallen, der Innensenator habe bei ihm,
Seidel, angerufen und wissen wollen, welches Chaos hier herrsche, der
Polizist, dieser Pfeifer, sei wahrscheinlich ein verdeckter Ermittler, die
Presse bombardiere das Revier mit Fragen, auf die er keine Antwort wisse,
und Nabel sei offenkundig nicht zu Hause, er habe ihn vergebens zu
erreichen versucht. Was für ein Saustall! Ein Kriminaler, der nicht
zu erreichen sei, das grenze an Insubordination!
Lidia war müde, nicht
auf dem neuesten Stand und zeigte sich von der Entwicklung glaubhaft
überrascht. Pfeifer wieder frei? Naja. Das werde schon Gründe
haben, sie sei überzeugt, daß Nabel welche habe. Zu seiner
Verteidigung führte sie die letzte Nacht an, in der er und sie
durchgearbeitet hätten, irgendwann müsse jeder Mensch mal
schlafen, selbst im mittleren Dienst, das sei Naturgesetz.
»Wenn sich Nabel nicht
innerhalb der nächsten drei Stunden bei mir meldet, übernehmen
Sie die Soko, Frau Rauch. Ich hab die Nase voll von Kais Eskapaden!
Gestrichen voll!«
Die Zeitungen hatten die
Ermordung Tschutschelows nicht mehr für ihre Morgenausgaben
aufbereiten können, die Verbindung zur lila Serie wurde der Presse
gegenüber vorerst noch geheimgehalten, von daher ergab sich eine
geringe Schonfrist, bis die Information doch durchsickern würde. Eine
sehr geringe.
Lidia ging an ihren
Schreibtisch. Ahmed berichtete, er habe Pfeifers Schwestern ausfindig
gemacht und jeweils zwei Beamte zu deren Schutz abgestellt.
»Pfeifers Schwestern?«
fragte Lidia verständnislos.
»Mehr weiß ich
auch nicht. Dachte, du würdest mich aufklären.«
»Ich? Wieso?«
»Na, war nur so ne
Frage. Du mit deinen besonderen Verbindungen zu Kai …«
»Bitte?«
»Tschuldigung, hab
gedacht, wenn jemand den Backstagepaß zu seinen Gedanken hat, dann
du.«
»Paß auf, was du
redest.«
»Keine Angst. Ich halte
dicht.«
Lidia warf ihm ein Bündel
unbenutzter Briefumschläge an den Kopf. Ahmed lachte. Und verstummte.
Seidel stand plötzlich in der Tür. Kommentarlos ließ er
den Blick auf den beiden vor Schreck erstarrten Kriminalbeamten ruhen,
etliche Sekunden lang, bevor er sich umdrehte und mit stampfenden
Schritten den Flur hinunterlief.
Ruslan Dschanow erwachte auf
der mit Gazellenleder bespannten Récamiere, die zur Präsidentensuite
gehörte. Es war Mittag. Er hatte die nach Erbrochenem stinkende und
laut
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