Australien 01 - Wo der Wind singt
stützte. »Sie haben einen Schock. Geben Sie Ihrem Verstand einfach etwas Zeit, um sich zu beruhigen. Ihre Tochter ist nicht tot. Es ist ihr nichts passiert. Es geht ihr gut.«
Kate versuchte sich auf das, was dort drüben vor sich ging, zu konzentrieren.
»Sie lebt? Sie lebt ?«, fragte Kate verzweifelt.
Die Leute traten zur Seite, und Kate sah Nell, die weinend auf dem Rasen lag. Felicity war damit beschäftigt, das Blut zu stillen, das aus einer Platzwunde an Nells Kopf quoll.
»Hier ist sie«, sagte Alice und setzte Nell dabei auf.
Kate sank neben Nell auf die Knie, küsste sie wimmernd.
»Psst, mein Schatz, psst! Es wird alles gut, Nell.« Sie sah mit um Bestätigung flehendem Blick Felicity an.
»Deine Mami hat Recht, Nell«, sagte Felicity nüchtern. »Alles ist in Ordnung.« Dann an Kate gewandt: »Und die Mami setzt sich jetzt dort drüben hin. Ich reinige noch Nells Wunde, bevor wir alle zum Haus zurückgehen.«
Felicity sagte leise etwas zu Alice, dann spürte Kate, wie Alice sie ein paar Schritte wegführte. Sie ließ sie sich dort auf den Boden setzten und legte wieder die Arme um sie. Kate sah, wie Felicity Nell auf Knochenbrüche untersuchte, ihr in die Pupillen leuchtete und ihren Puls fühlte. Nick war ebenfalls da. Er zupfte Nell sanft ein paar Zweige und Blätter aus den zerzausten Locken.
Kate wandte sich wieder an Alice.
»Ist es wirklich nichts Schlimmes?«
Alice nickte lächelnd, auch wenn ihr dabei Tränen in den Augen standen. Auch in ihrem lockigen blondgrauen Haar hingen vertrocknete braune Blätter. Auf ihrer hellen Strickjacke war ein Blutfleck zu sehen, denn Kate hatte sich, Halt suchend, an Alices Schulter gelehnt, nachdem sie die blutverschmierte Nell im Arm gehalten hatte.
»Ja, es geht ihr gut. Sie hat nur ein paar Schürfwunden und eine dicke Beule am Kopf, mehr nicht. Wenn Felicity sagt, dass ihr sonst nichts fehlt, dann ist das auch so.«
Kate sah auf. Am Rande ihres Gesichtsfeldes nahm sie weiße blitzende Lichter und wogende grüne Blätter wahr. Im Zentrum des Ganzen erkannte sie Nick. Klar und deutlich wie der helle Tag. Sie kniff die Augen zusammen, um auch die Person, die neben ihm stand, erkennen zu können. Es war Henry. Er hielt Nells Hand und strich ihr ganz sanft über das blutverklebte Haar. Der Wind schüttelte noch immer die Bäume, versetzte Kate wieder in Angst und Schrecken.
»Ich muss zu ihr!«, sagte sie. Wieder überfiel sie diese entsetzliche Panik. Was war, wenn Alice sie angelogen hatte? Sie versuchte aufzustehen, aber Alice hielt sie mit sanfter Gewalt fest.
»Psst! Es geht ihr gut. Vertrauen Sie mir, meine Liebe.« Alice strich Kate mit ruhigen, tröstenden Bewegungen über die Haare. Kate schloss die Augen und versuchte ihren ungleichmäßigen Atem unter Kontrolle zu bekommen.
»Ich kann mich noch gut dran erinnern«, begann Alice mit ruhiger Stimme, »wie Nick sich einmal den Kopf aufgeschlagen hat. Er war damals ungefähr so alt wie Nell. Er fiel von einem der Bäume da drüben. Ich glaube, Angus hatte dabei ein bisschen nachgeholfen, aber das nur nebenbei bemerkt. Jedenfalls hat Nick sehr stark geblutet. Als ich aus dem Haus kam und ihn sah, bin ich einfach umgekippt. Wenn es um das eigene Kind geht, fühlt man seinen Schmerz. Glauben Sie mir. Ich konnte mit all den blutigen Schrammen, die sich die Freunde meiner Söhne zugezogen haben, wenn sie hier zu Besuch waren, durchaus umgehen. Auch mit all dem Blut, das man auf einer Farm zwangsläufig zu sehen bekommt. Aber wenn eines meiner Kind geblutet hat, konnte ich das einfach nicht ertragen. Felicity macht Nell nur noch sauber, dann können Sie sie wieder in Ihre Arme schließen.«
»Sind Sie sicher?«, frage Kate noch eimmal mit zitternder Stimme.
»Ganz sicher.« Alice setzte sich aufrecht hin und sah Kate direkt in die Augen. »Immerhin ist sie doch meine Enkeltochter. Ich sollte also wissen, ob es ihr gut geht oder nicht.«
Kate spürte Tränen in ihren Augen brennen. Sie wusste also Bescheid! Alice wusste Bescheid. Kate legte die Arme um sie und hielt sie fest. So fest, wie sie ihre Mutter damals immer gehalten hatte, wenn das Leben so beängstigend war, dass Worte nicht mehr halfen.
Nick trug Nell, die jetzt in eine karierte Decke eingewickelt war, zu Kate und legte sie ihr dann vorsichtig in die Arme.
»Gott sei Dank! Gott sei Dank!« Kate vergrub ihr Gesicht in Nells Haaren, die durch das Blut und das Wasser rosa gefärbt waren. Die Locken klebten an der Kopfhaut. Auf
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