Australien 01 - Wo der Wind singt
noch?«
»Käse!«
»Jetzt stell dich nicht so dumm, Nell«, sagte Kate. »Man sagt ›Danke, liebe Mama‹, das weißt du doch. Aber du willst mich sicher nur ärgern, oder?«
»Bamke, lieme Mama«, sagte Nell mit vollem Mund.
»Schön, Nell. Aber nicht mit vollem Mund«, fügte Janie hinzu, als sie den Reißverschluss ihrer Provianttasche öffnete und zwei Trinkbecher für Brendan und Jasmine herausnahm. Als Kate in die Hocke ging, um Janie zu helfen, kam Nell zu ihr und schlang die Arme um Kates Hals.
»Ah … mein Kuschelbärchen! Danke, Nellie.« Sie gab Nell einen dicken Kuss. Noch während sie ihre Tochter knuddelte, sah sie, dass Alice auf die Veranda kam. In ihrem Haus wirkte sie stärker und wesentlich gefasster. Sie stand in ihrem feinen grauen Kleid und der rosa Jacke, die sie um ihre Schultern gelegt hatte, in aufrechter Haltung auf ihrer Veranda.
Auch Alice sah jetzt zum bedrohlich dunklen Himmel hinauf. Sie kniff die Augen zusammen, weil ihr plötzlich eine heftige Böe ins Gesicht blies. Dann sah sie zu Nell und Kate hinüber, die sich noch immer umarmten. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Kate war sich sicher, auch einen sehnsüchtigen Ausdruck darauf zu erkennen. Vielleicht dachte Alice gerade daran, wie sie selbst vor so vielen Jahren mit ihren beiden Jungen auf ebendiesem Rasen gespielt hatte. Es waren die Erinnerungen einer Mutter. Kostbarer als alles andere, dachte Kate. Kostbarer als alles Land oder Geld. Kate zog Nell an sich, atmete den Duft ihrer frisch gewaschenen Haare ein und schloss die Augen. Vergiss nie diesen Duft, sagte sie sich. Vergiss niemals diesen Moment, in dem das Leben und der Tod so eng miteinander verflochten sind. Vergiss nie zu lieben, egal was auch kommen mag.
»Ich hab dich lieb«, murmelte sie, während sie mit den Lippen über die weiche Haut von Nells Nacken strich. Als sie die Augen wieder öffnete, stand Nick neben seiner Mutter auf der Veranda. Auch er beobachtete sie beide. Er beugte sich zu Alice hinüber und sagte etwas zu ihr.
Kate wurde klar, dass er zu ihr kommen und mit ihr reden wollte. Sie setzte sich aufrecht hin und lächelte ihn an. Genau in diesem Moment erschien jedoch auch Felicity auf der Veranda. In ihrer schwarzen Hose und der perfekt sitzenden hellgrauen Bluse machte sie eine auffallend gute Figur. Ihre Haare hatte sie zu einem Knoten im Nacken frisiert.
»Ich fahre jetzt besser in die Stadt zurück, Alice«, sagte sie ein wenig außer Atem. Kate sah, wie Felicity Alice in die Arme nahm. Dann ergriff sie Nicks Hand, drückte sie und umarmte kurz auch ihn. Kate wandte schnell den Blick ab. Dann verschwanden die drei ins Haus.
»Stört es dich, wenn Nell und ich noch einen kleinen Spaziergang machen?«, fragte Kate Janie leise. Felicity mit Nick zusammen zu sehen, hatte ihr die Luft zum Atmen genommen. Felicity hatte jedes Recht der Welt, hier zu sein, ganz egal, wie sich ihr Verhältnis zu Nick auch entwickelt haben mochte, rief Kate sich zum x-ten Mal in Erinnerung. Dennoch tat ihr Felicitys Anwesenheit weh, obwohl ihr bewusst war, dass Felicity angesichts ihrer und Nells das gleiche Unbehagen empfinden musste. Ihre Beziehung mit Aden spielt dabei keine Rolle. Janie nickte.
»Wir sind hier. Lass dir ruhig Zeit. Wir sehen uns dann später.«
Der Garten von Rutherglen hatte trotz der ungepflegten Beete und des ungemähten, mit Löwenzahn geradezu übersäten Rasens nichts von seinem Charme verloren. An der mit weißem Kies bestreuten Auffahrt bogen sich wuchtige Ulmen ächzend im Wind, während die stürmischen Böen an den sommerlich grünen Ranken der großen Weiden zerrten und zogen. Kate sah zu, wie Nell in ihrem im Wind flatternden Gingham-Kleid vorauslief und lachend über den Rasen hüpfte. Obwohl es Kate Freude machte, ihre Tochter so fröhlich zu sehen, war sie doch auch sehr bedrückt.
Nick zu sehen hatte sie mit großer Sehnsucht erfüllt und ihre Gefühle wieder in Aufruhr versetzt. Es gab auf der Welt keinen Mann, den sie mehr begehrte. Aber Kate wusste, dass sie loslassen musste. Sie musste Nick loslassen. Musste Bronty aufgeben. Ihren Zorn darüber vergessen, dass sie nahezu alle Menschen, die sie liebte, verloren hatte. Sie musste all das loslassen, sonst würde es sie irgendwann auffressen. Aber es gab da etwas, das sie niemals loslassen würde, und das war Nell. Nell war ein Teil ihres Lebens. Sie war ihr Fleisch und Blut. Sie sollte die Möglichkeit erhalten, ein wirklich außergewöhnliches Leben zu
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