Australien 01 - Wo der Wind singt
Unterlagen schon im ganzen Haus! Ach, Henry! Da versuche ich, etwas Ordnung in dieses Haus zu bringen – aber die Arbeit nimmt einfach kein Ende.«
Henry merkte, wie sich ihre Stimme immer mehr nach oben zu schrauben begann, so wie die Triebwerke eines Flugzeugs, das gleich vom Boden abheben wird. Er streckte den Arm aus und schaltete das Radio aus. Dann fuhr er mit der Hand eines ihrer schlanken, sonnengebräunten Beine hinauf, das in einer apricotfarbenen Caprihose steckte, und betrachtete dabei ihre rosa lackierten Zehennägel.
»Es wird schon alles gut werden«, sagte er mit ruhiger Stimme.
»Schließlich gibt es da ja noch die alten Pferdeställe. Wir könnten einen von ihnen für Kate renovieren. Einen Steinmetz beauftragen.«
Annabelles Wangen röteten sich. »Dort wurde in den letzten dreißig Jahren nichts als Heu gelagert, Henry! Das hast du mir selbst gesagt, als ich sie für Bed & Breakfast vorgeschlagen habe. Abgesehen davon dachte ich, dass dies hier zu renovieren Vorrang hätte.«
Seiner Tochter war es wieder einmal gelungen, alles durcheinanderzubringen, dachte Henry. Vor allem Annabelle zu verärgern. Dabei war sie noch nicht einmal zu Hause.
»Das Ganze wird schon irgendwie gehen«, sagte er. »Wir haben uns sicher schon bald daran gewöhnt, dass sie wieder bei uns ist. Es braucht einfach nur ein bisschen Zeit«, sagte er und schlang dabei seine Arme um ihre Beine und hob sie hoch. »Und jetzt hör auf, ständig mit deinem Pfirsichhintern vor meinem Gesicht rumzuwackeln, sonst beiß ich noch irgendwann hinein.«
Annabelle lachte. »Lass mich runter, Henry!«
Er setzte sie auf dem Boden ab und sah sie an. Seine gespielte gute Laune ließ kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln erscheinen.
»Vielleicht würde ich sogar eine Koppel verkaufen, damit du deinen Anbau bekommst und wir alle Platz haben.«
Sie streckte sich und küsste ihn auf seine glatt rasierte Wange.
»Ich weiß, dass du das tun würdest. Mein gutaussehender Mann vom Lande.«
Gerade als Henry sich zu ihr hinunterbeugte, um ihren Kuss zu erwidern, kam Will zur Tür herein. Er räusperte sich. Henry ließ Annabelle sofort los. Will nahm den Wasserkessel und schlurfte an ihnen vorbei zum Herd, wobei er die neuen Gardinen nur eines kurzen Blickes würdigte.
»Wie sieht’s auf den hinteren Weiden aus?«, fragte Henry.
Will schüttelte den Kopf.
»Verdammt trocken. Wir müssen die Kühe morgen oder übermorgen von der Weide holen und mit dem Zufüttern anfangen.«
»Dabei könnte Kate dir ja helfen«, sagte Annabelle.
»Ich habe eigentlich gedacht, dass Aden das übernehmen könnte.
Kate und ich werden schon genug damit zu tun haben, ihr Büro auf dem Dachboden einzurichten. Wenn wir es geschickt anstellen, bleibt vielleicht sogar genug Platz, dass die beiden dort oben auch schlafen können.«
»Eine Dreijährige soll diese Leiter rauf- und runterklettern? Unmöglich«, sagte Annabelle.
Will sah stumm zu Boden und schloss dann kurz die Augen. Als er wieder aufblickte, lächelte er sie strahlend an.
»Das hier ist noch immer auch Kates Zuhause. Wir müssen also einen Weg finden, nicht wahr?« Er stellte diese Frage in heiterem Ton und mit einem überaus freundlichen Gesicht. Dennoch hingen seine Worte schwer zwischen ihnen. Er sah, wie sein Vater nervös wurde. Will wusste, dass sein Vater von Schuldgefühlen geradezu zerfressen wurde. Schuldgefühle, weil er seine Tochter im Stich gelassen hatte, als sie seine Hilfe und seinen Beistand am nötigsten gebraucht hatte. Scham darüber, weil er, was ihre Schwangerschaft anging, einfach den Kopf in den Sand gesteckt hatte, anstatt sofort aufs Festland zu fahren und sie und ihr Baby nach Hause zu holen. Will wusste, dass sein Vater all diese Dinge tief in seinem Inneren vergraben hatte und niemals darüber sprechen würde.
»Will jemand eine Tasse Kaffee?«, fragte er und griff dabei nach den Bechern, die unter dem Geschirrschrank an kleinen metallenen Haken hingen. In diesem Moment kam Amy ins Zimmer. Sie hatte Knöpfe in den Ohren, deren Kabel in einer ihrer Hosentaschen verschwanden. Die Musik, die aus dem iPod kam, klang blechern. Amy starrte durch ihre eckige, schwarz gerahmte Brille mürrisch die durchgeweichten Sandwiches auf dem Tisch an. Die Abendsonne, die durch das Fenster fiel, lag hell auf ihren kurzen, stacheligen Haaren mit den gefärbten roten und orangefarbenen Streifen.
»Hallo, Schatz«, sagte Annabelle. »Wie läuft es mit dem Lernen?«
Amy verzog ihr
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