Australien 01 - Wo der Wind singt
sich danach, ihre Mutter dort stehen und ihr zuwinken zu sehen. Im Fenster stand jedoch niemand, und der graue Anstrich des Dachs darüber blätterte ab. Annabelle war mit ihren »Verbesserungen« offensichtlich noch nicht bis dorthin vorgedrungen.
Kate wollte Nell gerade wieder in ihren Kindersitz setzen, als sie das Brummen eines Postboten-Motorrads hörte. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Will!
Er hupte mit der albern klingenden Hupe der kleinen roten Honda, deren Lack ganz ausgeblichen war, fuhr einmal im Kreis um sie herum und kam dann schleudernd zum Stehen. Sein Hund Grumpy, ein
stämmiger Tricolor-Bordercollie mit einer Halskrause so dicht wie eine Löwenmähne, und ein junger Hund, den Kate nicht kannte, sprangen vom Motorrad. Grumpy pinkelte erst einmal an den Reifen von Kates Pick-up. Der junge Hund hüpfte aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd vor Nell herum. Sheila beobachtete das ganze Theater gelassen von ihrem Platz auf dem Beifahrersitz aus.
»Mein großer Bruder!«, rief Kate, der sofort auffiel, dass er, seit sie ihn im Krankenhaus das letzte Mal gesehen hatte, ziemlich zugenommen hatte. Sie breitete ihre Arme aus.
»Sie haben dich also tatsächlich wieder ins Land gelassen!«, sagte er, während er sie an sich drückte und sie seine kalte Wange an der ihren spürte.
»Ja, gerade eben erst.«
»Annabelle hat schon in der ganzen Gegend rumerzählt, dass dich dieses Ministerium mit den vielen Namen rausgeschmissen hat und du deshalb bald wieder nach Hause kommst.«
Kate ließ ihn los und gab ihm lachend einen kleinen Schubs.
» Versetzt , Will! Ich wurde versetzt!«
»Wie auch immer du es nennst. Jedenfalls bist du jetzt wieder da. Janie hat mich jede halbe Stunde angerufen, um zu fragen, ob du schon eingetroffen bist. Wie geht es meiner kleinen Nichte?«, fragte Will und ging in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. »Geht es dir gut? Hat dir die Fahrt auf dem großen Schiff gefallen?«
Nell versteckte sich hinter Kates Bein und klammerte sich dabei an die Jeans ihrer Mutter.
»Sag hallo zu Onkel Will, Nell.« Kate sah Will an. »Sie ist manchmal ein bisschen schüchtern, aber das legt sich.« Sie wartete darauf, dass Will etwas sagte, etwas wie: »Wahnsinn, sie sieht ja genau wie ihr Vater aus.« Das tat er jedoch nicht. Stattdessen strubbelte er durch Nells blonde Locken.
»Du bist ja eine ganz Süße.«
»Die Pferde sehen gut aus«, sagte Kate rasch, um das Gespräch von Nell abzulenken.
»Ja, aber sie sind ein bisschen fett. Genau wie ich.« Will tätschelte
seinen runden Bauch, dann klopfte er auf den Benzintank seines Motorrads. »In letzter Zeit reite ich nur noch dieses Stahlross. Annabelle ist gegen Pferdehaare allergisch, deshalb will sie mich auch nicht im Haus haben, wenn ich bei den Pferden war.«
Kate zog eine Grimasse. »Wie ist sie so?«
»Ziemlich daneben.«
»Dann hat sie sich also nicht verändert.«
»Sie fühlt sich eben ein bisschen beengt.«
»Klar«, sagte Kate mit ausdrucksloser Stimme.
»Sie braucht Platz für Amy und Aden.«
»Amy und Aden? Das ganze A-Team ist also versammelt?«
»So ist es. Die A-Löcher sind alle da. Aden ist letzte Woche gekommen. Er hat anscheinend vom Leben in der Stadt genug, also hat er sich von Sidney verabschiedet und ist wieder bei Mami eingezogen. Sie hat ihn mit Moleskin herausgeputzt, und jetzt versucht er sich als Mann vom Snowy River, allerdings ohne das dazugehörige Pferd. Und wie immer ist er zu nichts zu gebrauchen.«
»Und Amy?«
»Sie drückt sich vor der Uni.«
»Wie kommt Dad damit klar, dass er jetzt nicht nur das große A sondern auch noch die beiden kleinen As die ganze Zeit um sich herum hat?«
»Du kennst doch Dad. Er sagt nicht viel. Arbeitet einfach.«
»O Gott, Will. Das ist doch schrecklich.«
Will schüttelte den Kopf.
»Ich bin jedenfalls verdammt froh, dass du nach Hause gekommen bist.«
Sie schwiegen eine Weile. Kate bemerkte die Anspannung in Wills Gesicht. Er war sichtlich gealtert. Kate war schockiert, als sie graue Sprenkel in seinem Haar entdeckte. Er war erst Mitte zwanzig, und trotzdem hatten sich schon tiefe Falten in seine Stirn gegraben.
»Du siehst aus, als hättest du in letzter Zeit zu viel gearbeitet.«
»Ich? Nee, bestimmt nicht.«
»Komm schon. Das Leben hat mehr zu bieten als Arbeit. Komm,
ich nehm dich mit«, sagte sie, packte ihn am Ellbogen und öffnete die Tür ihres Pick-ups.
»Was? Wohin? Zum Haus?«
»Nein, sicher nicht! Wir fahren erst mal
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