Australien 01 - Wo der Wind singt
letzten Jahren schon zu sehr in Anspruch genommen. Noch mehr Aufregung wäre bestimmt nicht gut für sie. Sie hat noch nicht einmal den Tod meiner Mutter verwunden. Außerdem ging es ihr in letzter Zeit gesundheitlich so schlecht, dass sie nicht einmal zu Wills Beerdigung kommen konnte. Es würde ihr mit Sicherheit das Herz brechen, wenn sie sähe, was diese Frau aus Bronty gemacht hat.«
»Also, Dave und ich sind immer für dich da. Das weißt du doch, oder?«
Kate sah sie an und nickte. »Danke«, sagte sie, stellte ihren Becher mit Schokolade ab und zog Janie dann an sich. »Du bist wirklich meine allerbeste Freundin.«
»Ja«, sagte Janie und erwiderte ihre Umarmung. »Und du die meine. «
Janie schob ihre nackten Füße unter ihren Po. Dabei fiel Kate ein kleines Loch in Janies Jogginghose auf, durch das ihre blasses Bein zu sehen war. Janie steckte ihren Finger durch das Loch und begann dann darin herumzubohren.
»Ich glaube, ich muss mal wieder im Second-Hand-Laden vorbeischauen. Willst du nicht mitkommen?«
Kate konnte Janies Müdigkeit förmlich spüren. Der Stress mit den Zwillingen und die Arbeit auf der Farm ließen ihr kaum Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse. Wieder bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie einfach so vor Janies Tür aufgetaucht war. Sie wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte, als sie ihr Zuhause so überstürzt verlassen hatte. Wieder einmal verlassen hatte , dachte sie und ärgerte sich dabei über sich selbst. Wann würde sie es jemals lernen? Jetzt gab es für sie keinen Weg mehr zurück.
Kate sah sich im Wohnzimmer um. Obwohl der Teppich an den Türen
abgetreten war und in jeder Ecke Körbe mit Spielzeug standen, strahlte das Haus eine Wärme aus, wie das nur der Liebe einer Familie gelingen konnte. Ein bescheidenes Zuhause. Mit selbst genähten geblümten Vorhängen und Möbeln von der Stange, die jedoch allesamt dank Janies Geschick im Nähen eine hübsche Note erhalten hatten. An den Wänden hingen in billigen Rahmen Fotos ihrer Kinder und Bilder von ihrem Hochzeitstag. Auf den Lehnen der abgesessenen Couch und des alten Sessels lagen weiche Decken aus Angorawolle. All das verlieh dem Zimmer eine überaus gemütliche Atmosphäre und verstärkte das Gefühl der Geborgenheit, das auch Janie ausstrahlte.
Als Kate bewusst wurde, wie bodenständig und gefestigt Janies Leben war, erfasste sie dieselbe Panik wie damals vor zwei Jahren, als sie die Einladung zu Janies und Daves Hochzeit in der Post gefunden hatte. Erst eine Woche zuvor hatte ihr Vater sie zu seiner eigenen Hochzeit eingeladen. Kate hatte auf die steife, förmliche Karte mit dem Goldrand gestarrt und war dabei mit dem Finger über Daves und Janies Namen gefahren, während sie sich gefragt hatte, ob sie wohl selbst jemals einen Menschen finden würde, mit dem sie wirklich glücklich werden konnte. Auf der einen Seite war da sie selbst, eine allein erziehende Mutter, die sich von einem chaotischen Tag zum nächsten kämpfte, und auf der anderen Seite war Janie, die das Glück hatte, den Mann, den sie auf dem Rouseabout kennen gelernt hatte, zu heiraten und mit ihm eine Familie zu gründen. Kate konnte damals kaum glauben, dass Janie tatsächlich scharf darauf war, Kinder zu bekommen. Damals hatte Kate Janie beneidet und geglaubt, ihre Freundin würde den leichteren Weg wählen. Wie sehr hatte sie sich doch geirrt! Sich für einen Ehemann und eine Farm und ganz davon zu schweigen, sich für Kinder zu entscheiden war in Wirklichkeit ein sehr mutiger Schritt. Kate starrte auf ihren Schoß.
»Ich weiß, dass du mit den Zwillingen und in dieser beschissenen Zeit des Jahres genug um die Ohren hast. Ich werde dir also nicht allzu lange zur Last fallen, das verspreche ich dir. Ich brauche nur eine Nacht oder zwei, um herauszufinden, was ich tun und wohin ich gehen kann. Ich soll nächsten Monat mit meinem neuen Job anfangen.
Ein neuer Job! Ich habe noch nicht einmal eine Wohnung, geschweige denn ein Büro! Aber ich krieg das schon hin. Nicht wahr?«
»Also«, sagte Janie mit glänzenden Augen. »Dave und ich haben vorhin, als du bei Nell im Zimmer warst, ein bisschen miteinander geplaudert und da ist uns eine großartige Idee gekommen. Wir wollen dir deshalb einen Vorschlag machen.«
»Einen Vorschlag?«
»Trink aus, und hol dann deinen Mantel.«
»Was für einen Vorschlag?«
»Geduld, Grashüpfer, Geduld.«
»Wohin gehen wir?«
»Nicht weit. Auf jeden Fall nicht so weit wie bis zum nächsten Pub. Wir
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