Australien 01 - Wo der Wind singt
Rutherglen und hielt auf das rotweiß gestreifte Hindernis unter den winterlichen Ulmen zu. Ihr Pferd Calvin sperrte sich ein wenig gegen ihre Zügelhilfen, übersprang die Stangen dann jedoch mühelos, wobei es sie nur ganz leicht mit den sauber beschlagenen Hinterhufen berührte. Felicity klopfte ihm lobend auf den glänzenden, braunen Hals. Sie schnalzte mit der Zunge und spannte die Muskeln ihrer Beine an, die in beigefarbenen Reithosen steckten, um sich auf den nächsten Sprung vorzubereiten.
Im Maschinenschuppen neben der Koppel schimpfte Nick über den Traktor. Er wischte sich die Hände an seiner zerschlissenen Jeans ab, nahm wieder einen Schraubenschlüssel in die Hand und wünschte sich dabei, dass die Schafschur auf Bronty noch etwas länger gedauert hätte. Neben ihm lag sein Hund Tuff und leckte sich die Hoden, während er eine einsame Schmeißfliege beobachtete, die sich offenbar in der Jahreszeit geirrt hatte.
»Braver Junge«, gurrte Felicity. Nick blickte nicht einmal auf. Er wusste, dass sie nicht ihn meinte, denn dies war der Ton, den sie ausschließlich für ihre Pferde reserviert hatte. Die Eingeweide des Traktors lagen auf dem Betonboden vor ihm ausgebreitet. Im gläsernen Führerhaus spielte das Radio leise vor sich hin. Als Nick sich jetzt über den Motor beugte, hörte er plötzlich die ihm so vertraute Melodie. Er schob mit der Stiefelspitze vorsichtig die Werkzeuge und Schrauben, die auf dem Aufstieg des Traktors lagen, zur Seite. Dann kletterte er in die Kabine und setze sich auf den Fahrersitz, um sich das Lied anzuhören. Es war dieses eine Lied. Aus dieser einen Nacht. »Blister in the Sun«, von den Violent Femmes. Er drehte es mit seinen ölverschmierten Fingern lauter. Ein unwillkürliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Der Klang der elektrischen Gitarre und des Schlagzeugs
vibrierten durch den Schuppen und durch seinen Körper. Seine Erinnerung an Kate Webster war jetzt ganz deutlich. Diesmal trug sie kein rotes Kleid. Jetzt stellte er sie sich bei der Schafschur vor, während ihr schwarze Haarsträhnen in das herzförmige Gesicht fielen und sie mit ihren glatten und kräftigen Armen Vliese stapelte. Da war es wieder, dieses Kribbeln, das er jedes Mal gespürt hatte, wenn sie ihn angesehen hatte.
Nick sprang vom Traktor hinunter, packte den verblüfften Tuff bei den Vorderpfoten und begann mit ihm durch den Schuppen zu tanzen. Als er Tuffs braune Pfoten schließlich wieder losließ, begann der Hund freudig bellend um ihn herumzuspringen, während er in seinem blauen ärmellosen Flanellhemd und seinen alten Bluejeans wie ein Klon von Bruce Springsteen singend durch den Schuppen wirbelte. Er hielt sich den silbernen Schraubenschlüssel wie ein Mikrofon vor den Mund und stellte sich dabei vor, in der Scheune von Bronty mit Kate zu tanzen. Die Muskeln in seinem Arm spielten, als er den Schraubenschlüssel in seine Gesäßtasche steckte, den Autogenschweißer aufhob und wie ein Verrückter Luftgitarre zu spielen begann. Wie lange war es her, dass er sich so frei und unbeschwert gefühlt hatte? Einen Augenblick lang gelang es ihm sogar, die Krankheit seines Vaters, die Traurigkeit seiner Mutter und den Schatten seines stets abwesenden Bruders zu verdrängen. Er vergaß den Druck, den Felicity mit ihren hohen Erwartungen auf ihn ausübte … Nick war plötzlich wieder ein Teenager. Er tanzte ohne das Gewicht der Verantwortung zu spüren. Tanzte einfach mit Kate.
Als Felicity die laut dröhnende Musik hörte, die aus dem Schuppen kam, saß sie von ihrem großen Vollblut ab. Die weichen Sohlen ihrer Reitstiefel setzten sicher auf dem Boden auf. Sie führte Calvin in den Hof, streifte ihm das Zaumzeug von seinem langen, trockenen braunen Kopf und tätschelte noch einmal seinen weißen Stern. Dann ging sie zum Schuppen hinüber.
Nick hörte sie nicht hereinkommen, Tuff rannte jedoch auf sie zu und drückte sich in hundetypischer Freude mit seinem ganzen Körper an ihre Beine.
»Lass das, Hund«, knurrte Felicity. Sie stand da und beobachtete Nick mit zur Seite geneigtem Kopf. Ihre blaue samtbezogene Reitkappe hatte sie sich dabei in eine Armbeuge geklemmt, während sie beide Hände in ihre schlanken Hüften stemmte.
»Nick?«
Nick hörte sofort zu tanzen auf. Ein verlegener Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Er sprang ins Führerhaus und stellte die Musik leise.
»Was machst du denn da?«, fragte sie.
»Den Traktor reparieren«, sagte er, nahm dabei ein öliges Ersatzteil
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