Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Australien 01 - Wo der Wind singt

Australien 01 - Wo der Wind singt

Titel: Australien 01 - Wo der Wind singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Treasure
Vom Netzwerk:
20
    D ie Strahlen der Morgensonne fielen durch die kleinen quadratischen Fensterscheiben des Häuschens und ergossen sich wie verschütteter Honig über den Küchentisch. Dort saß Nell, den Rücken zur Sonne, und schaufelte sich Porridge mit Rosinen in den Mund. Sie hielt dabei mit ihrer kleinen Faust einen gelben Plastiklöffel umklammert, auf dessen Stielende ein Bild von Pooh, dem Bären, zu sehen war. Im Wohnzimmer döste Sheila, auf einem Schaffell entspannt auf der Seite liegend, neben den Resten des Kaminfeuers vom Abend zuvor. Ihr Atem war leise und gleichmäßig. Im Hintergrund plätscherte ABC-Radio leise vor sich hin.
    Kate warf Nell noch einen kurzen Blick zu, bevor sie in ihr Büro hinüberging, in dem sich die Arbeit stapelte. Kate trug ihre Dienstkleidung, die aus einer ordentlichen, marineblauen Jeans und einem blau gestreiften, gebügelten Hemd bestand. Nur der breite, geflochtene Ledergürtel mit dem komplizierten Muster, den sie um ihre Taille trug, verriet das Cowgirl in ihr.
    Sie hatte ihre Kleidung mit Sorgfalt ausgewählt, denn heute war nicht einfach irgendein Arbeitstag. Heute würde sie zur Farm der Familie McDonnell hinausfahren. Als sie sich im Spiegel betrachtet und Rouge auf ihre Wangenknochen aufgetragen hatte, hatte sie versucht sich einzureden, dass sie sich keineswegs deshalb schminkte, weil sie Nick gefallen wollte. Nein, sie tat dies ausschließlich zu ihrem Schutz, damit er nicht in ihrem Gesicht lesen konnte wie in einem offenen Buch. Aber sie sollte es mit dem Make-up auch nicht übertreiben. Möglicherweise war ja Felicity da. Sie würde sie sicher aufs Genaueste in Augenschein nehmen. Also hatte Kate das Rouge wieder weggewischt, und anstatt des roten Lippenstifts farblosen Gloss aufgelegt.
    Kate warf einen Blick auf ihre Uhr. Bis zu ihrem Termin bei den
McDonnells blieben ihr noch einige Stunden Zeit. Sie war an diesem Morgen besonders früh aufgewacht, sogar noch vor Nell, und hatte wohl deshalb jetzt auch das Gefühl, bereits einen ganzen langen Arbeitstag hinter sich gebracht zu haben. Sie litt unter chronischem Schlafmangel, und es war im Grunde nur die Anspannung, die sie auf den Beinen hielt.
    Kate hatte mehrere Wochen gebraucht, um sich an die Geräusche zu gewöhnen, die das kleine Häuschen jede Nacht von sich gab, wenn der kalte Wind des Winters das Dach und die Bodendielen ächzen ließ. Anfangs hatte sie noch das Licht im Flur brennen lassen, damit sie nicht in der Dunkelheit nach den ihr noch unvertrauten Schaltern oder Türklinken suchen musste.
    Jetzt jedoch neigte sich der Winter langsam seinem Ende zu. Das Frühjahr kam. Der Sonnenschein, der jetzt in ihr Büro fiel, ließ es hell und einladend wirken. Die Ordner mit den Unterlagen ihrer Kunden standen ordentlich aufgereiht in den Regalen. Ihr Wohnzimmer war inzwischen ebenfalls gemütlich eingerichtet. Eine kleine Couch und ein niedriger Couchtisch aus Holz, Nells Sitzsack und ein großer Korb mit ihrem Spielzeug standen auf einem fröhlich-bunten Teppich. Dazu gesellte sich Janies Auswahl an geblümten, karierten und bunt gestreiften Stoffen. All das zusammen verlieh dem Zimmer eine überaus wohnliche Atmosphäre.
    Wieder im Büro, ließ Kate sich auf ihren Stuhl fallen und nahm das Foto ihrer Mutter in die Hand, das auf dem großen Schreibtisch neben dem von Will stand. Sie brauchte Laneys Rat. Sie wünschte sich so sehr, dass ihre Mutter mit ihr reden könnte. Dass sie ihr sagte: »Erzähl Nick das mit Nell. Heute. Und bring Nell nach Hause. Bring sie nach Bronty zurück, denn dort gehört sie hin.« Aber ihre Mutter schwieg. Ihr Blick sprach nur von Traurigkeit und Verlust.
    »Mama«, sagte Kate laut. Das Schweigen, das dieses Wort hinterließ, tat unendlich weh. Während vieler schlafloser Nächte in ihrem kleinen Häuschen hatte sie den Schatten zugesehen, die an der Decke ihres Schlafzimmers tanzten, und auf ihre Mutter gewartet. Wenn die Dunkelheit sich dann in jene grauen Wolkenschleier aufzulösen
begann, die vor dem Sonnenaufgang den Himmel überzogen und unsichtbare Vögel zu singen anfingen, wurden Kates Gedanken klar. Es war, als hätte ihre Mutter ihr schon die ganze Zeit etwas ins Ohr geflüstert.
    Allmählich wurde ihr bewusst, dass sie, wenn sie ihr gesamtes Fachwissen und ihre gesamte Energie in ein finanzielles Konzept für Bronty steckte, eine akzeptable Lösung finden könnte. Wenn sie dieses dann ihrem Vater vorlegte, würde er vielleicht doch einsehen, dass auf seiner Farm für sie

Weitere Kostenlose Bücher