Australien 01 - Wo der Wind singt
über die Weide. Er war es. Will. Kate spürte, wie sich Hoffnung in ihr regte. Aber als sie langsamer fuhr, erkannte sie den Motorradfahrer. Es war Aden. Nur Aden.
Kate unterdrückte ihre Tränen, als sie wieder Gas gab. Sie schwor sich, dass sie auf dem Rückweg zu Janies Farm einen anderen Weg nehmen würde. Sie würde die Straßen im Hinterland nehmen. Die Holzfällerwege über die steilen Berge, würde über unzählige Bodenwellen holpern, durch Wälder mit Plantagenholz, die wie dunkle Tunnel wirkten, fahren. Sie würde alles tun, um nicht wieder diesen Schmerz zu empfinden.
»Wie konntest du es wagen, hinter meinem Rücken so etwas zu tun!«
Lance McDonnell stützte sich auf den Küchentisch, die großen Hände zu Fäusten geballt. Seine einst so starken Schultern fielen nach vorn. Sein Gesicht zeigte eine seltsame Mischung aus fleckigem Gelb, Rot und Grau. Er starrte seine Frau böse an. Alice ignorierte ihn jedoch einfach. Sie bückte sich, um einen Orangenkuchen aus dem Ofen zu nehmen.
»Ich verschwinde, dann kannst du diesem Kuchenfritzen vom Ministerium sagen, dass der Termin gestrichen ist.«
Alice stellte den Kuchen mit einem lauten Knall auf den Herd.
»Beruhige dich«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Lance schlurfte zum Telefon hinüber, das an der Wand in der Küche montiert war. Er nahm den Hörer von der Gabel und hielt ihn Alice hin.
»Ruf ihn an.« Er starrte sie mit finsterem Blick an, so als würden sie gleich eine Schießerei austragen.
»Das kann ich nicht«, sagte sie und hielt seinem Blick ohne auch nur mit der Wimper zu zucken stand.
»Warum nicht?«
»Weil ich die Telefonnummer im Ofen verbrannt habe.« Alice ging zum Kühlschrank und riss den Zeitungsausschnitt von der Tür. Die Magnethalter fielen klappernd auf den Boden. Während sie ihren Mann weiter finster ansah, knüllte sie den Zettel zusammen, öffnete die Tür des alten Holzofens und warf den Papierball dann in dessen dunklen, rußigen Schlund.
Lance hatte seine Frau seit seinem Unfall nicht mehr so entschlossen erlebt. Er schloss die Augen und atmete heftig durch die Nase aus.
»Der Doktor hat gesagt, dass du jeden Stress vermeiden sollst«, sagte sie. »Ich sehe aber, dass du wegen der Farm ständig gestresst bist. Was hast du also verdammt noch mal zu verlieren?« Alice stemmte ihre Hände, die noch in ihren Topfhandschuhen steckten, in die Hüften. »Ich sage dir jetzt, was du zu verlieren hast«, fuhr sie fort, »weil es dir nämlich sonst niemand sagt. Du wirst deinen Sohn verlieren. Wenn wir hier nicht schnellstens etwas ändern, wirst du ihn verlieren.«
»Er ist nicht wie Angus. Er wird niemals von hier fortgehen. So was würde er niemals tun.«
»Ich spreche auch nicht davon, dass er von hier weggehen wird«, sagte sie und erhob dabei ihre Stimme. »Du wirst ihn im Herzen verlieren, Lance. Du wirst seine Liebe und seinen Respekt verlieren, wenn du ihn weiter unter Druck setzt.«
Alice hielt inne und wartete auf eine Reaktion, die jedoch ausblieb. Seit dem Unfall hatte ihr Mann sich vollkommen in sich zurückgezogen. Alles war nur noch auf die körperlichen Bedürfnisse konzentriert. Wann die Verbände zu wechseln waren, wann er ein Schmerzmittel bekommen musste, ob das, was er aß, seinen Zustand verschlimmerte. Ob er zum Arzt gebracht werden musste. Wann die nächste Operation anstand. Medizinische Hilfsmittel, praktische Dinge, oberflächliche
Gespräche – um Gefühle war es dabei nie gegangen. Lance ließ sich auf einen Stuhl sinken.
»Und wann will dieser dämliche Kerl vom Ministerium kommen? «
»Es ist kein ›Kerl vom Ministerium‹. Das Ganze wird nur zum Teil von der Regierung finanziert. Eigentlich ist es ein Privatunternehmen. Und im Übrigen ist es auch kein Kerl.«
»Was?«
»Es ist eine Sie, kein Er«, sagte Alice und schüttelte dabei den Kuchen aus der Form auf ein Kuchengitter.
»Das wird ja immer besser«, sagte Lance tonlos.
Im Büro sortierte Nick gerade einen Stapel ungeöffneter Post, der auf dem Schreibtisch seines Vater lag. Als er die unzähligen mit Fenstern versehenen Umschläge durchging, fiel ihm ein leuchtend gelber Brief auf, der an ihn persönlich adressiert war. Er riss den Umschlag auf, während er sich noch immer darüber ärgerte, dass seine Mutter ihn erst so kurz zuvor über diesen Termin informiert hatte. Warum hatte sie nicht schon früher etwas gesagt? Nick zog eine steife, gelbe Karte aus dem Umschlag und klappte sie auf. Es war eine
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