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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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Gouverneur ja die Gesellschaft eines Offiziers von der gleichen Körpergröße wie er selbst, dachte Rooke und erschrak sofort über sich selbst. Hab Geduld, ermahnte er sich. Silk ist kein Sprachforscher, und sie werden sich schon noch an mich wenden .
    Der Gouverneur versuchte nun, die Aufmerksamkeit des anderen Mannes auf sich zu lenken: Er hielt seinen Daumen hoch und wackelte damit.
    »Warungin? Warungin! Das ist mein Daumen, bei uns heißt das ›Daumen‹, und nun sag mir, wie ihr dazu sagt.«
    Wa-rung-in. Zwei Wörter der Eingeborenensprache.
    Aber Warungin war weder geneigt, den Gouverneur anzublicken, noch zeigte er Interesse an dessen Daumen. Trotz der Behinderung durch die Fußfesseln ging er aufrecht und starrte geradeaus, als wäre der Gouverneur gar nicht vorhanden.
    Diese beiden Männer ähnelten denen, die Rooke in Antigua gesehen hatte, unterschieden sich aber auch von ihnen. Sie waren nicht so groß wie die Sklaven, und ihre Haut war auch nicht von diesem Schwarz, das fast schon ein Blau war. Ihre Haut war von einem wärmeren, eher bräunlichen Schwarz. Sie hatten auch nicht diese wulstigen, in ihrer Fülle so faszinierenden Lippen wie die Afrikaner.
    Neben diesen angeborenen Unterschieden gab es andere, von denen Rooke annahm, dass sie auf ihre Lebensweise zurückzuführen waren. Die stolze, aufrechte Haltung dieser beiden Männer aus New South Wales verriet, dass sie sich niemandem unterworfen hatten. Die Isolation hatte sie davor bewahrt, so zu werden wie jene entwurzelten Afrikaner, die Rooke im Englischen Hafen gesehen hatte, ausdruckslose schwarze Rädchen im Getriebe des britischen Weltreichs.
    Boinbar sah Rooke offen ins Gesicht, musterte seine rote Uniformjacke, die Messingknöpfe, die goldenen Tressen, das glatte Haar, die weichen Wangen, die blasse Haut. Unter seinem Blick wurde Rooke bewusst, wie merkwürdig man es finden konnte, dass jemand solches Haar und eine solche Haut hatte und den Körper mit Stoff und kleinen glänzenden Gegenständen bedeckte.
    Als sich ihre Blicke trafen, spürte Rooke einen Lachreiz in seiner Kehle, weil er im Gesicht des anderen Mannes seine eigene Gespanntheit widergespiegelt sah, dieselbe Neugier auf Unbekanntes und die Bereitschaft, über Unterschiede zu staunen.
    Doch im gleichen Augenblick machte der Gouverneur kehrt, um zu seinem Haus zurückzugehen, und fasste Boinbar am Ellbogen.
    »Komm, mein Freund, jetzt gibt es etwas zu essen.«
    Er führte dabei die Hand zum Mund und machte übertriebene Kaubewegungen, worauf Boinbar ihm bereitwillig folgte. Warungin hingegen musste von Silk gedrängt werden, damit er sich ihnen anschloss. Als er ihn dabei leicht am Arm berührte, zog Warungin ihn brüsk zurück. Wie die muskulöse Verkörperung der Entrüstung schlurfte er mit versteinerter Miene den Weg hinauf.
    ✳
    In den folgenden zwei Wochen fand Rooke mehrmals Gründe, in die Siedlung hinunterzugehen, in der Hoffnung, die beiden Eingeborenen zu sehen. Er bekam sie jedoch nie zu Gesicht, und der junge Timpson erzählte ihm, dass sie die meiste Zeit im Haus des Gouverneurs seien, wo ihnen beigebracht werde, auf einem Stuhl zu sitzen und von einem Teller zu essen. Das war auch schon alles, was ihm der arme heimwehkranke Timpson an Informationen liefern konnte, denn alles, was nichts mit seiner Betsy zu tun hatte, interessierte ihn nicht sonderlich.
    Rooke hatte sich Einsamkeit gewünscht und sich bewusst einen Grund ausgedacht, außerhalb der Siedlung leben zu können. Und er hatte sich beglückwünscht, sein Ziel erreicht zu haben. Doch nun erging es ihm wie Midas, der sich trotz seines erlangten Reichtums arm gefühlt hatte. Seine isolierte Lage brachte ihn um die Möglichkeit, neben Silk zu stehen und mit den beiden Eingeborenen Worte wechseln zu können.
    Rooke überlegte angestrengt, unter welchem Vorwand er beim Haus des Gouverneurs vorsprechen könnte. Das Einzige, was ihm einfiel, war sein Aufzeichnungsbuch. Er könnte um ein Gespräch mit dem Gouverneur bitten und vorgeben, Seine Exzellenz fragen zu wollen, ob sie Änderungsvorschläge habe, bevor er zu viele Seiten gefüllt hätte. Sollte er beispielsweise außer Wind und Wetter vielleicht auch die Fluthöhe dokumentieren?
    Ein fadenscheiniger Vorwand, doch wer weiß, wie lange es sonst noch dauern würde, bis er diese beiden neuen Planeten Boinbar und Warungin wieder zu sehen bekäme.
    Als er gerade die neuesten Messwerte in die jeweiligen Spalten eintrug und sich vornahm, am nächsten Tag mit

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