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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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als Aufmunterung gedacht gewesen, doch er hätte genauso gut schweigen können.
    »Das war bei weitem der schlimmste Befehl, den ich jemals habe ausführen müssen.«
    Gardiners Stimme war leise, beschämt. Rooke dachte: Und ich? Ist mir jemals ein Befehl erteilt worden, der mich erschüttert, mich beschämt hat? Ihm fiel nichts ein. Auf der Resolution hatte er die Männer nicht sehen können, die von seinen blindlings abgegebenen Schüssen hätten getroffen werden können. In New South Wales hatte er sich mit Hilfe der Astronomie um die soldatischen Pflichten drücken können. Doch das war reines Glück gewesen, weiter nichts. Er spürte, wie sich etwas in ihm zusammenzog bei dem Gedanken, dass ihn nur der Zufall vor dem bewahrt hatte, was Gardiner widerfahren war.
    Auf dem Dach klapperte eine lose Schindel, der Ast eines Strauches scharrte gegen die Wand. Ein Vogel trillerte ein, zwei Mal.
    »Ich wünschte bei Gott, ich hätte es nicht getan! Der Gouverneur hätte diesen Befehl gar nicht erteilen sollen, aber ich wünschte bei Gott, ich hätte den Gehorsam verweigert!«
    Gardiner hatte diese Worte laut ausgerufen, sie füllten die Hütte und schwebten durch das Fenster ins Freie.
    »Um Himmels willen, Mann! Pass auf, was du sagst!«
    Sie waren hier zwar unter sich, trotzdem war es nie ganz ungefährlich, solche Worte nach draußen dringen zu lassen. Der Leutnant, der damals im Englischen Hafen am Strick gebaumelt hatte, war nicht so weit gegangen, den Gehorsam zu verweigern. Auch die beiden anderen nicht, denen Rooke nachgeblickt hatte, als sie in die Vergessenheit entsandt worden waren. Die Worte hatten schon genügt. Hier, wo dem Gouverneur lediglich eine Handvoll Offiziere zur Verfügung standen, um ein Chaos zu verhindern, konnte nicht einmal die leiseste Andeutung einer Gehorsamsverweigerung geduldet werden.
    »Unsere Pflicht«, begann Rooke, »unsere soldatische Pflicht«, doch sein Freund wollte nicht weiter darüber reden. Gardiner trank seinen Brandy aus und setzte ein Grinsen auf, bei dem sich seine ausgedörrten Seemannslippen spannten.
    »Ja, ja, Mr. Rooke, ich weiß. Wir sind hier alle Untertanen des Gouverneurs, und der Teufel soll jeden holen, der etwas anderes behauptet!«
    Rooke sagte nichts mehr. In seinem Hinterkopf bildete sich eine Frage, die er gar nicht hören wollte. Sie lautete: Was hätte ich an seiner Stelle getan?


    A m nächsten Morgen ging Rooke in aller Frühe zur Sied lung hinunter. Zwar mit schlechtem Gewissen Gardiner gegenüber, aber er war einfach neugierig auf die gefangenen Eingeborenen. Er überlegte, mit welcher List er es schaffen könnte, einen Blick auf sie zu erhaschen, doch es war gar keine List nötig. Als er gerade den Exerzierplatz überquerte, sah er den Gouverneur mit zwei in Fußfesseln dahinschlurfenden Männern den Hang hinunterkommen. Neben ihm, Notizbuch und Bleistift in der Hand, ging ein lebhaft dreinblickender Hauptmann Silk.
    Der größere der beiden Eingeborenen war ein etwa dreißigjähriger Mann von schönem Körperbau, dessen Augen schalkhaft blitzten. Rooke kam bei diesem Blick der Gedanke, dass Silk, wäre er gekidnappt und der Gast irgendeines Stammeshäuptlings geworden, haargenau so umherschauen würde wie dieser Mann – mit Augen, die alles interessant fanden, und dem Lächeln eines Menschen, der gerade das größte Abenteuer seines Lebens erlebt.
    Der andere Mann hingegen war von kleiner, gedrungener Statur und wirkte wie der Inbegriff gröblich verletzter Würde. Für ihn war es kein Abenteuer, hier zu sein, dachte Rooke. Für ihn war es eine Demütigung.
    Das schmale Gesicht des Gouverneurs hatte sich über Nacht verwandelt: Es war nicht mehr so verkniffen wie sonst und strahlte. So erinnerte er Rooke kaum noch an die Mathematikerbrücke. Er hielt jetzt dem heiteren Gefangenen seine Hand hin und drehte sie um.
    »Also, Boinbar. Das hier nennen wir ›Hand‹. Und wie heißt das in eurer Sprache?«
    Bo-in-bar. Rooke sah die Silben wie geschrieben vor seinem geistigen Auge und prägte sie sich ein. Sein erstes Wort der Sprache der Eingeborenen.
    Silk beleckte die Spitze seines Bleistifts, um sich das Wort der Eingeborenen für »Hand« sofort zu notieren. Das flinkste Schachtelmännchen im Regiment . Wie bloß hatte Silk es mit dem Notizbuch in der Hand an die Seite des Gouverneurs geschafft?, fragte sich Rooke. Wenn man in New South Wales einen Sprachforscher brauchte, wandte man sich dann nicht an Leutnant Rooke?
    Vielleicht behagte dem

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