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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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hätte und den Brief zerreißen könnte. Es war nicht nötig, jemanden über einen Misserfolg zu informieren, wenn dann doch noch ein Erfolg eintrat. Ganz wie Gardiner vermutet hatte, fühlte er sich, nachdem er seine Sorgen zu Papier gebracht hatte, tatsächlich erleichtert.
    Die kurze Pause im weichen Licht des Hafens hatte seine Nerven beruhigt. Ausnahmsweise stieg er an diesem Abend nicht zur Kuppel hinauf, sondern streckte sich auf seinem Feldbett aus und sank in tiefen Schlaf.
    ✳
    Als der April anbrach, war klar, dass kein Komet mehr auftauchen würde, egal welche Berechnungen ein Astronom auch machte. Rooke war jetzt seit fast einem Jahr draußen auf seiner Landspitze. Er dachte sich eine neue Rechtfertigung aus, um mit seinen Instrumenten dort bleiben zu können, und versuchte, sich keine Gedanken darüber zu machen, wie lange sie ihm nützen würde.
    Die nördliche Hemisphäre war an der Stelle, um die sich die imaginäre Erdachse im Norden drehte, durch einen hellen Stern markiert, geradezu, als hätte der Allmächtige ihn als Navigationshilfe bereitgestellt. Am Südhimmel gab es keine solche Hilfe. Für das bloße Auge war der südliche Himmelspol eine dunkle Fläche.
    Rooke betrachtete das Nichtvorhandensein eines entsprechenden Sterns im Süden als weiteren Hinweis, dass der Allmächtige, falls es ihn gab, nicht darauf bedacht war, es den Menschen leicht zu machen.
    Mit Hilfe des Teleskops waren am südlichen Himmelspol allerdings durchaus Sterne zu sehen, und der Franzose Lacaille hatte sie vierzig Jahre zuvor in einen Sternkatalog eingetragen. Als Schüler an der Akademie in Portsmouth hatte er erfahren, dass Lacaille genau an dem Tag gestorben war, an dem Rooke selbst geboren worden war. Seither hatte er sich mit diesem Mann irgendwie verbunden gefühlt und das Gefühl gehabt, als hätte dieser etwas an ihn weitergegeben. Jetzt nahm er sich vor, dort weiterzumachen, wo Lacaille aufgehört hatte. Durch das Okular sah er das Sternbild l’Octans Reflexion, genauso wie es auf Lacailles Sternkarte eingezeichnet war, und Sigma Octantis, einen sehr unauffälligen Stern an der Stelle, an der sich die Erde drehte. Darüber hinaus entdeckte er sogar Sterne, die in Lacailles Karte fehlten.
    Mit Lichtpunkten, die nur ein Astronom sehen konnte, würde sich der Gouverneur allerdings nicht zufriedengeben. Seine Exzellenz war kein Wissenschaftler; Wissen um seiner selbst willen hatte für ihn keinen Wert. Nichtsdestotrotz setzte Rooke seine Arbeit mit Quadrant und Mikrometer mit unermüdlichem Eifer fort und zeichnete die Position jeder neuen Entdeckung in die Sternkarte ein.
    Das Maßgebende eines Monats waren für Rooke nicht mehr die kleinen Ereignisse und Jahresfeiern der Kolonie. Für ihn zählte jetzt nur noch der monatliche Sternenhimmel, während er Nacht für Nacht am einen Rand des Spaltes in seinem Dach ein Sternbild verschwinden und auf der anderen Seite ein anderes auftauchen sah.
    Sterne zu betrachten, die Dr. Vickery und auch Dr. Halley noch nie gesehen hatten und deren Existenz Hipparch und Ptolemäus nicht hätten erahnen können, war ein erregendes Gefühl. Konnte man von etwas sagen, dass es existierte, bevor es überhaupt gesehen worden war? Und wenn sein durchs Teleskop blickendes Auge dasjenige war, das einen bestimmten Stern zum Existieren brachte, machte ihn das nicht zu einem Schöpfer? Irgendwo in seinem Hinterkopf – aus Bescheidenheit wagte er diesen Gedanken kaum zu Ende zu denken – gab es sogar die Möglichkeit, dass er, Daniel Rooke, neu entdeckte Sterne einander zuordnete und sich wie Lacaille für diese neuen Sternbilder Namen ausdenken könnte.
    Rooke konnte sehr viel mehr sehen als Lacaille mit seinem inzwischen veralteten Instrument. Er fragte sich, ob in Zukunft ein Teleskop von heute noch unvorstellbarer Stärke in den dunklen Zwischenräumen zwischen den jetzt schon sichtbaren Sternen sogar noch mehr Sterne zum Vorschein bringen würde, und danach immer noch mehr. In manchen Nächten fühlte er sich von der unermesslichen Weite des Himmels fast überwältigt. War das Firmament wirklich grenzenlos? War nur das, was man sehen konnte, begrenzt?

DRITTER TEIL
DIE NAMEN DER DINGE


    A ls der Trommler des Regiments eines Nachmittags im zweiten Jahr der Kolonie die Felsen heruntergestürmt kam, sah Rooke ihm mit bangem Herzen entgegen. Bestimmt hatte der Junge eine Botschaft in der Hosentasche. Leutnant Rooke, ich ersuche Sie höflichst, morgen früh um neun im Haus des

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