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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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Lebens diese Worte lesen und sich in dieses Hier , dieses Jetzt zurückversetzen. Diese glückliche Zeit.
    Rooke nahm seinen Mantel vom Haken, um sich auf seinem Bett damit zuzudecken, und griff nach seinem Montaigne. Über die Daumen . Er hatte seine wenigen Bücher schon so oft gelesen, dass er sie fast auswendig kannte, doch was er immer wieder mit Vergnügen lesen konnte, war der Essay Über die Daumen .
    Nachts kam es ihm in der Hütte stets vor, als triebe er darin verloren am Rande des Weltalls. Die von draußen hereindringenden Geräusche, das Rascheln und Scharren, verstärkten die Stille und das Gefühl von Einsamkeit noch. In manchen Nächten hatte er hier draußen das dumpfe Gefühl, der einzige Mensch auf Erden zu sein.
    Mit den auf dem Fußboden liegenden Mädchen wirkte der Raum irgendwie verändert. Die Glut sandte ein ruhiges Leuchten aus. In dieser Nacht kam ihm die Hütte vor wie ein heimeliges, auf den nächtlichen Strömungen dahintreibendes Schiff.
    Rooke hatte sich diesen Ort bewusst ausgesucht, weil er so abgelegen war, doch jetzt war er froh, einmal nicht allein zu sein. Vielleicht war er ja gar kein so einsiedlerischer Mensch. Das war etwas, was er bislang noch nicht über sich gewusst hatte. Hatte es schon immer in ihm geschlummert, hatte vielleicht bisher nur die richtige Gelegenheit gefehlt, um zum Leben erweckt zu werden? Oder lag da etwas in der Luft von New South Wales, das ihn veränderte?
    Als er gerade erst eine Seite über die Daumen gelesen hatte, bemerkte er, dass sich Tagaran auf einen Ellbogen aufstützte und ihm mit schlaftrunkenem Gesicht leise kamara zurief.
    » Minyin bial nangadyimi? «, fragte er bedachtsam. Warum schläfst du nicht?
    » Nyimang blanket, kamara «, antwortete sie.
    Hatte sie wirklich gesagt, Mach die Decke aus? Hatte er es doch gewusst! Rooke stand auf und griff nach der Decke, um sie wegzuziehen. Worogan schlief weiter, doch Tagaran hielt die Decke fest und starrte ihn halb verwundert, halb entrüstet an. In ihrem Gesicht spiegelte sich eine rasche Abfolge von Gedanken wider.
    » Kandulin! «, sagte sie und deutete auf die Kerze.
    Es war also das Licht, weshalb sie nicht schlafen konnte.
    Weil es normalerweise nicht vorkam, dass sie sich versprach, machte er einen Spaß daraus, indem er sich zur Decke hinunterbeugte und darauf pustete, als wolle er sie ausblasen. Sie verstand den Scherz und lächelte.
    » Tariadyaou «, sagte sie leise.
    Er erkannte, dass es die Vergangenheitsform und ein Teil eines Wortes war, von dem er annahm, dass es so etwas wie Fehler bedeutete. Hatte sie gesagt: Ich habe einen Fehler beim Sprechen gemacht?
    »Ja«, erwiderte er flüsternd und blickte hinunter in ihr Gesicht, das mit der Decke drumherum überaus kindlich aussah. »Aber Irren ist nun mal menschlich.«
    Sein Vater hatte solche Dinge zu ihm gesagt, in demselben sanften Ton, den er nun in seiner eigenen Stimme vernahm. Tagaran konnte diese letzten Worte nicht verstanden haben, dachte er, doch sie schloss die Augen, um zu schlafen.
    Rooke kroch wieder unter seinen Mantel und blies die Kerze aus. Er musste über die Vorstellung die Decke ausmachen lächeln. Einen Fehler zu machen, war ganz untypisch für Tagaran, aber es war auch untypisch für ihn, einen Fehler in etwas Scherzhaftes umzuwandeln.
    Nun ja, es war vielleicht untypisch für Leutnant Daniel Rooke, aber für den Menschen, den Tagaran kamara nannte, schien es so natürlich zu sein wie das Atmen. Dieser kamara musste schon immer existiert haben, dachte Rooke, doch ohne Tagarans Auftauchen in seinem Leben wäre er wohl noch immer stumm.
    Rooke lag auf der Seite und lauschte dem leisen Knacken der zusammenfallenden Glut und den ruhigen, unbewussten Atemzügen der Mädchen. Er konnte erkennen, wie sich die Wölbung ihrer gemeinsamen Silhouette senkte und hob. Ein Arm von Tagaran schaute unter der Decke hervor, die gewölbte Hand mit der Innenseite nach oben gedreht.
    Er spürte – ja, was? – vielleicht eine Art Wärme in der Brust? Er vermochte das Gefühl weder zu lokalisieren noch zu benennen, wusste nur, es hing damit zusammen, dass sich Tagaran hier unter seinem Dach befand, mit dieser vertrauensvoll ihm zugewandten Hand.
    Das Licht, das die Glut ausgesandt hatte, war erloschen. In der Hütte war es vollkommen finster. Rooke wusste, dass der Vollmond bald aufgehen würde. Wie in so vielen anderen Nächten stand er auf und hüllte sich in seinen Mantel. Heute würde er den Mond nicht mit den Augen des

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