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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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es zumindest. Er zog sich geistig von dem Ort und der Zeit zurück, in der er sich befand, während sein Körper weiterhin mit starr nach vorne gerichtetem Blick dastand, die Muskete im korrekten Winkel.
    Beim ersten dumpfen Aufschlag der Peitschenschnüre auf die Haut schrie der Sträfling laut auf, doch nicht nur er schrie, sondern noch jemand anderes. Rooke sah, wie Warungin nach vorne stürzen wollte und dem Auspeitscher mit verzerrter Miene etwas zubrüllte. Verzweifelt versuchte er, sich vom Gouverneur loszureißen, der ihn festhielt, und blickte wild zwischen den strammstehenden Seesoldaten hin und her. Als er Rooke entdeckte, rief er ihm etwas zu, immer wieder dasselbe Wort. Über den zwischen ihnen liegenden Raum hinweg ging ein Flehen in beide Richtungen.
    Leutnant Rooke sah weg. Er drückte den Hals noch mehr gegen seinen Kragen und hielt seine Muskete noch fester im Griff. Er spürte den glitschigen Schweiß auf dem Holz. Sein Kragen schnürte ihm die Luft ab, sein Hut zerdrückte ihm den Kopf, seine Jacke schien aus Eisen. Aufhören, aufhören, aufhören , waren die einzigen Worte, die sein Hirn zu produzieren vermochte. Aufhören an Warungin, der ihm dieses Wort nicht mehr zurufen sollte. Aufhören an den Auspeitscher, der die Peitsche fallen lassen und wegtreten sollte. Aufhören an den Gouverneur, der mit ihnen allen Erbarmen haben sollte.
    Rooke umklammerte das Gewehr und presste die Zehen in seinen Schuhen zusammen. Er war ein Stein, ein Stück Holz, die Nachbildung eines Menschen.
    Wyatt und Weymark hatten Warungin in die Mitte genommen und hielten ihn an den Armen fest. Zwischen den unmenschlich klingenden Geräuschen, die der Sträfling bei jedem Schlag von sich gab, hörte Rooke den Gouverneur unbeirrt weiter seine Erklärungen abgeben.
    »Schlecht«, hörte Rooke. »Schlechter Mensch. Dieb.«
    Damit Warungin ihn verstand, machte der Gouverneur zur Verdeutlichung ein entrüstetes Gesicht.
    »Hat Essen genommen. Essen gestohlen, das nicht sein Essen war.«
    Warungin wehrte sich nicht mehr, hatte das Gesicht jedoch abgewandt, um nicht mehr sehen zu müssen, wie der Rücken eines Menschen systematisch zu rotem Brei geschlagen wurde. Rooke sah, wie sich die kräftigen Sehnen an Warungins Hals anspannten. Bei jedem Hieb und bei jedem Schrei des Sträflings zuckte Warungin zusammen.
    Das war Gerechtigkeit: unparteiisch, blind, edel. Die grauenvolle Züchtigung war der Beweis für ihre Unparteilichkeit. Wenn es nicht wehtat, war es keine Gerechtigkeit. Das war es, was der Gouverneur klarzumachen versuchte, doch die weihevollen Begriffe verdampften im Licht.
    Rooke hörte das schockierende nasse Geräusch, wenn die neunschwänzige Katze auf das aufgeplatzte Fleisch traf, zwanzig Mal, dreißig Mal, fünfzig Mal. Bei jedem Peitschenhieb bog sich der Körper des Mannes gegen die Seile, mit denen er an dem dreibeinigen Gerüst festgebunden war. Der Auspeitscher musste nach jedem Hieb mit den Fingern durch die Peitschenschnüre fahren, um die Fleischfetzen zu entfernen, die sie verklebten.
    Nachdem der Sträfling vierundsiebzig Peitschenhiebe über sich hatte ergehen lassen, brach er zusammen und hing schlaff in den Seilen. Marinearzt Weymark hatte die Aufgabe zu beurteilen, ob der arme Kerl vorerst genug bekommen hatte. Er berührte den Mann nur flüchtig am Handgelenk, um seinen Puls zu fühlen, dann nickte er: Ja, er hat genug, schneidet ihn ab.
    Somit verblieben hundertsechsundzwanzig Peitschenhiebe für das nächste Mal. Rooke dachte, dass der Gedanke an das, was einem noch bevorstand, möglicherweise schlimmer war als die augenblicklichen Schmerzen.
    Auch als man die Seile gekappt hatte und den Mann wegschleifte, war Warungins Mund noch immer seltsam verzerrt. Die braune Haut seines Gesichts schien wie mit Aschestaub grau überzogen. Reglos starrte er zu Boden. Gleich wird er sich übergeben, dachte Rooke.
    Der Gouverneur berührte Warungin am Arm.
    »Es ist vorbei, mein Freund«, hörte Rooke ihn sagen.
    Bei der Berührung riss Warungin den Arm in die Höhe, als wäre die Hand des Gouverneurs glühend heiß.
    »Gehen wir in mein Haus zurück, dort bekommst du etwas zu essen«, sagte der Gouverneur.
    Warungin erwiderte nichts, sah weder den Gouverneur noch irgendeinen anderen der versammelten Berewalgal an. Auch Rooke würdigte er keines Blickes. Als Wyatt ihn losließ, kehrte er ihnen sofort den Rücken zu und ging davon. Rooke sah ihm nach, als er sich entfernte, der Mann, neben dem er im

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