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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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bekam dort draußen in den Wäldern schon mit, ob der Jäger seine Beute selbst vertilgte, statt sie für den Gemeinschaftstopf abzuliefern?
    Was diesen armen Teufel betraf, der die Kartoffeln stibitzt hatte, nun ja, der menschliche Organismus brauchte nun einmal Nahrung. Sich Essen zu nehmen, wenn es zur Verfügung stand, war – rein wissenschaftlich gesehen – eine korrekte Reaktion auf den Hunger.
    Das gnadenlose Urteil, demzufolge diese Tat Diebstahl war und Bestrafung verlangte, war eine andere Sache.
    Als Diener Seiner Majestät war es die Gerechtigkeit, an die Rooke sich zu halten hatte, doch er wünschte, der Sträfling hätte die Kartoffeln nicht geklaut. Wünschte, der Mann hätte sie nicht unter seiner Jacke zu verstecken versucht und vor allem, dass er nicht erwischt worden wäre.
    Der Mann war ein sehr hellhäutiger Typ, sein lockiges Haar glänzte in der Sonne wie Draht, die Haut auf seinem Rücken war so weiß, dass sie fast durchscheinend wirkte. Und sie glänzte: Der arme Kerl schwitzte. Sein Körper wusste, was ihm bevorstand.
    Sämtliche Seesoldaten und die meisten Sträflinge mussten anwesend sein, denn welchen Zweck hatte eine Bestrafung, wenn niemand sie sah? Auch Warungin war da, er stand neben dem Gouverneur und blickte sich um. Rooke nahm an, dass dies zu Warungins Erziehung gehörte. Es gab die britische Zivilisation in Form von Porzellantellern und Trinksprüchen auf den König, und es gab die britische Gerechtigkeit.
    Warungin war keinerlei Besorgnis, sondern lediglich Interesse anzusehen. Im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden wusste er nicht, was er gleich zu sehen bekommen würde.
    Rooke kam plötzlich ein erschreckender Gedanke. Unruhig ließ er den Blick schweifen, während er den Kopf vorschriftsmäßig nach vorne gerichtet hielt. Er hoffte inständig, dass Tagaran nicht hinter einem der Bäume stand und sich fragte, was das für eine ungewöhnliche Versammlung der Berewalgal war.
    Und wenn sie tatsächlich irgendwo dort stand? Falls er sie mit ihrem typisch wissensdurstigen Blick hinter einem Baum hervorlugen sah – würde er es dann wagen, vor den Augen der anderen Rotröcke aus dem Glied zu treten und zu ihr hinüberzugehen, um ihr irgendwie klarzumachen, dass sie weggehen, die Augen bedecken und die Ohren verstopfen müsse?
    In strammer militärischer Haltung stand Rooke mit geschultertem Gewehr an seinem Platz. Er schwitzte schon jetzt in seiner Jacke, das Herz schlug ihm bis zum Hals, und dabei hatte die Sache noch nicht einmal begonnen.
    Rooke war nahe genug, um verstehen zu können, was der Gouverneur zu Warungin sagte, während er auf den Dieb deutete, der im grellen Sonnenlicht auf dem freien Platz an dem dreibeinigen Gerüst festgebunden war.
    »Schlechter Mensch. Hat Essen gestohlen.«
    Während er die Worte formte, blickte ihm Warungin aufmerksam auf die Lippen.
    »Dieser Mann hat Essen genommen, das ihm nicht gehörte.«
    Warungin nickte, ob er den Satz auch wirklich verstanden hatte, konnte Rooke nicht sagen.
    »Deshalb bestrafen wir.« Der Gouverneur war entschlossen, klar und deutlich zu sein. »Jeder Mensch wird gleich behandelt. Wenn er stiehlt, wird er bestraft.«
    Es war interessant zu hören, wie diese großartige Idee – das Ergebnis von Hunderten von Jahren britischer Zivilisation – in so deutliche Worte gefasst wurde.
    Dann betrat der Auspeitscher den sandigen Platz. Er schüttelte die neunschwänzige Katze aus, entwirrte die Peitschenschnüre und schlug ein paar Mal mit dem Griff auf seinen Handteller.
    Sogar die Vögel schienen verstummt zu sein.
    Rooke stellte sich die Aufgabe, an seine Rückenmuskeln zu denken. Was für eine geniale Konstruktion die Wirbelsäule doch war: Sie konnte den Körper aufrecht halten, egal, was im Kopf vorging. Dann dachte er an seine Füße. So kleine Balancepunkte, und trotzdem bewahrten sie einen vor dem Umfallen. Er stellte sich eine geschnitzte Nachbildung seiner selbst vor, mitsamt Muskete, Jacke und hölzerner Miene, die auf einem Sockel stand, so schmal wie seine Füße. Würde die Figur umkippen? Er stellte sich vor, wie der Boden gegen seine Schuhsohlen drückte. Oder, besser gesagt, wie sich seine Füße in den Boden drückten. Das war die Schwerkraft. Die ungeheuer starke Hand, die den Kosmos an seinem Platz festhielt. Kepler war nahe davor gewesen, das Gesetz der Schwerkraft zu finden, Newton hatte es formuliert: Alle Massen ziehen sich gegenseitig an .
    Rooke vollführte eine Art Zaubertrick oder versuchte

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