Australien 03 - Tal der Sehnsucht
unserer süßen Mutter Maria bringen, damit ich ihren Sohn im Himmel treffen kann«, antwortete Albert. »Ich hab’ genug von dieser Welt gesehen.«
Albert tätschelte müde den freien Platz auf seinem Bett.
»Sogar mein kleiner Hund hat mich aufgegeben.« Er krümmte sich unter einem Hustenanfall.
Jack wusste nicht, was er tun oder sagen sollte, und blieb darum abwartend stehen. Dann hatte sich der Alte wieder gefangen.
»Geh hinten raus, Jack. Geh zum Stall, und hol dir alles raus, was du brauchen kannst. Dann reitest du die Stute heim. Der kleine Hengst wird ihr nachlaufen.«
»Deine Pferde?« Jacks Augen wurden groß. Er wusste, dass Alberts preisgekröntes Treiberpferd eine Vollblutstute war. Eine Kiste voller Münzen und verknitterter Pfundnoten war geleert worden, um sie zu kaufen. Nach einer einträglichen Kartenrunde hatte der alte Albert seine Stute dann zum besten importierten Hengst im ganzen Distrikt geschickt. Und jetzt bot er Jack eben diese Stute zusammen mit dem eleganten Fohlen, das sie noch säugte, an.
»Nimm sie, Junge.«
»Aber Albert – «
»Du wirst doch nicht mit einem Mann auf seinem Totenbett streiten«, pfiff Albert. »Du hast eine Gabe. Ich habe gesehen, wie du mit den Tieren arbeitest. So was gibt es nicht oft. Du darfst das nicht verschwenden, nur weil du für deinen Onkel James Kartoffeln anpflanzen musst. Dieser Laden, den er in Koroit aufmachen will – das ist nicht dein Traum, Jack. Wenn du jetzt nicht gehst, wirst du alte Weiber bedienen und alten Säufern wie mir Wein verkaufen, ehe du dich versiehst. Du wirst dabei versauern.«
Albert musste erst wieder Atem schöpfen.
»Also, nimm meine Stute mit. Und reite ihr Fohlen zu. Geh auf Wanderschaft, Jack, das ist dir bestimmt. Mach dich mit deinen Gaben auf dieser Welt nützlich – vergeude sie nicht.«
Jack spürte, wie ihn die Worte seines Freundes im Innersten berührten. Genau dort, wo Jack seine Verzweiflung abgeladen hatte, eine stille Verzweiflung, gegen die er jeden einzelnen Tag seines Lebens auf der Farm mit seinem gütigen Onkel und seiner Tante ankämpfte, die ihn beide aufgenommen und wie ein eigenes Kind großgezogen hatten. Obwohl er seine Verwandten liebte, verzehrte sich Jack nach der Freiheit, auf dem Rücken eines Pferdes in das unermesslich große Innere dieses neuen Landes vorzustoßen. Die Rinder auf ihrer Flucht ins Unterholz einzuholen und die Tiere dann zu beruhigen, bis sie gemächlich auf ihrem Treck zogen; einen Hirtenhund an seinem Bein zu spüren, während er abends in ein Lagerfeuer starrte. Das war schon immer sein Traum gewesen.
Er spürte die Finger des Alten auf seiner Hand.
»Ich muss jetzt schlafen, Junge. Pass gut für mich auf die Pferde auf. Jetzt ist die Reihe an dir, Viehtreiber zu werden. Der beste, der du werden kannst.«
»Ade, Albert.« Jack flossen die Tränen aus den Augen. Dann drehte er sich um und ging.
Draußen in der Sonne zwitscherten die Vögel im Birnbaum. Unter dem Birnbaum waren zwei Erdhügel. Alberts Grab war bereits ausgehoben, und ein Kreuz aus zwei Zaunlatten lag daneben im Gras. Der zweite Haufen war kleiner, ein Miniaturgrab ohne Kreuz. Jack wusste, dass darunter der kleine Terrier des alten Mannes lag.
Er schüttelte den kühlen Hauch des Todes von seinen Schultern und ging weiter in den Stall, wo ein tröstlicher Geruch nach Pferden und Leder in der Luft lag. Er fuhr mit der Hand über den kühlen, gedrehten Knauf einer Reitgerte und über die gut geölten Riemen eines Zaumzeugs. Unter einer schweißverkrusteten Satteldecke verbarg sich ein wunderbar gearbeiteter Treibersattel. Er war alt und abgewetzt, von langer Arbeit, Lanolin und Liebe glatt gerieben. Jack hatte immer davon geträumt, einstmals so einen Sattel zu besitzen. Er öffnete die quietschende Hintertür des Stalles und trat in den Pferch. Dort stand die Stute leicht dösend, einen Hinterhuf halb erhoben, während das Fohlen an ihren Zitzen sog. Die Stute, Bailey, war ein dunkler Fuchs. Für ein Pferd ihrer Rasse war sie kräftig und stämmig, und sie hatte weiche braune Augen, die Jack ruhig ansahen. Das etwa drei Monate alte Fohlen mit den klaren Augen war ein schlanker, langbeiniger Brauner. Der kleine Hengst drehte Jack den Kopf zu und musterte ihn ängstlich. Jack stand nur da, den Blick auf die glänzenden Felle dieser himmlischen Kreaturen geheftet, und wagte kaum zu glauben, dass die Tiere ihm gehören sollten.
Dann wieherte Bailey und machte einen Schritt auf ihn zu, den Hals
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