Australien 03 - Tal der Sehnsucht
stöhnte.
Im Scherstall, hinten auf dem Rost, hatte Jim die Planken und die Klauenschneidemaschine aufgebaut und schleifte jetzt noch den Kompressor hinüber. Ein roter, wenige Monate alter Welpe tappte ihm auf weichen Pfoten nach, die viel zu groß für seinen Körper zu sein schienen. Gerald war im Werkstattraum und schärfte die Klingen der Schneidemesser. Von dort aus unterhielt er sich laut rufend mit Jim.
»Ich sollte das wirklich von einem Fachmann machen lassen.«
»Nur keine Panik«, rief Jim zurück. »Wir schaffen das schon. Wenn Ihre Tochter mir die Schafe zutreibt, haben wir sie in Nullkommanichts durch.«
»Und Sie sind sicher, dass Sie mich nicht dabei haben wollen?«, fragte Gerald nach. »Rosie ist noch unerfahren. Und die Hunde … sind eigentlich nicht ihre, sie könnten also ungehorsam werden.«
»Sie macht das schon«, rief Jim zurück.
Gerald schüttelte seufzend den Kopf. Er wollte nur noch fort. Seit Sams Tod hatten Margarets Pillenkonsum und ihre Moralpredigten nie gekannte Ausmaße angenommen. Trotzdem bestand sie darauf, so weiterzumachen, als wäre nichts passiert. Schon plante sie Weihnachten für dieses Jahr. Gerald merkte, wie ihm die Brust eng wurde. Erst heute früh hatte er auf den Stapel von Rechnungsbüchern gestarrt, die bis in die Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts zurückreichten, und sich beklommen gefragt, ob seine Generation wohl diejenige wäre, die alles verkaufte. Die alles verlor. Er hatte das schon einmal miterlebt, als die Wollpreise in den Keller gefallen waren, als der Regen ausgeblieben war und die großen alten Eukalyptusbäume auf seinem Grund zu sterben begannen. Er malte sich seinen eigenen Tod aus… durch einen Herzinfarkt, einen Arbeitsunfall oder sogar durch die eigene Hand. Wie gern hätte er Julian alles übergeben. Aber Julian war nicht mehr da. Und jetzt steckte er hier fest. In einem Leben, das er nie gewollt hatte. Sollte er noch mal mit Giddy telefonieren? Sie wüsste, was er tun sollte. Gerald trug die Schneidemesser zur Maschine und hängte sie an den Kompressor. Jims Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Haben Sie ein tragbares Schermesser?«, fragte er. »Wenn Sie möchten, könnte ich den Tieren die Köttel vom Hintern rasieren, bevor ich sie wieder rauslasse.«
»Eine gute Idee. Die tragbaren Schergeräte sind in der Werkstatt. Ich hole sie Ihnen.«
Normalerweise hätte Gerald den Arbeiter hinübergeschickt, aber diesen Mann durfte er nicht verlieren. Anfangs war Gerald fuchsteufelswild gewesen, weil Margaret Jim eingestellt hatte, ohne ihn zu fragen. »Du weißt genau, dass wir ihn nicht bezahlen können!«, hatte er sie angebrüllt.
Aber Jim hatte sich mit einem Lohnabzug einverstanden erklärt, wenn er dafür am Wochenende mit seinen Hunden zum Trial fahren durfte. Und so hatten sie ihn eingestellt… den nächsten Viehtreiber. Gerald setzte die Brille ab und rieb sich müde die Augen, ehe er aus dem Schuppen verschwand.
Einen Augenblick später kam Rosie, immer noch einen Toast kauend, in den Scherstall gelaufen, dicht gefolgt von Diesel und Gibbo.
»Entschuldige die Verspätung«, sagte sie zu Jim, ohne ihn anzusehen.
»Dabei warst du heute schon so früh auf, um deine Übungen zu machen«, neckte er sie.
Rosie schaute auf und sah das Funkeln in seinen Augen. »Wenigstens hast du es diesmal geschafft, was anzuziehen«, fuhr er fort.
Rosies Schüchternheit schlug in Ärger um.
»Fangen wir an?«, fragte sie kühl.
»Unbedingt, aber könntest du erst dafür sorgen, dass dein Hund nicht länger versucht, meinen Hund zu besteigen?«
Rosie drehte sich mit hochrotem Kopf um und sah, wie Diesel auf Jims jungem Welpen hing und ihn zu bespringen versuchte.
»Diesel! Hierher!«, rief sie, aber Diesel hörte nicht.
Draußen vor dem Scherstall hatte Jim zwei Hunde mit kurzen Ketten am Zaun angebunden. Es waren hübsche Kelpies, eine Hündin und ein Rüde. Aus dem Schatten eines Pickups kam ein alter, schwarzer Rüde mit grauen Pfoten Schwanz wedelnd getrottet.
»Ah, da ist er«, sagte Jim freundlich zu dem alten Hund. Der fuchsrote Welpe hoppelte herbei und leckte den Hund an seiner ergrauenden Schnauze. Die beiden jungen Hunde saßen aufrecht da und sahen Jim flehentlich an, sie endlich arbeiten zu lassen. Rosie kam hinterher geschlendert, weil es ihr peinlich war, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der so viel Kompetenz ausstrahlte.
»So viele Hunde werden wir nicht brauchen«, sagte Jim zu ihr. »Ich lasse meine angebunden,
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