Australien 03 - Tal der Sehnsucht
Füße an schlanken Baumstämmen hängen und wurden aus den Steigbügeln gerissen. Die Büsche kratzten ihr die Arme auf und gaben ihr das Gefühl, mit Spinnweben überzogen zu sein, während über ihren Nacken lauter kleine Spinnen liefen.
Als sie endlich aus dem Dickicht stießen, hatte sie das Gefühl, eben durch den magischen Schrank gegangen und in Narnia gelandet zu sein. Der Nebel wich zurück und gab den Blick auf eine abgeschiedene Lichtung frei. Der verhangene Mond goss sein kühles Licht auf eine heitere, mit Gras bewachsene Uferstelle. Riesige Eukalyptusbäume reflektierten das Mondlicht, und der flache, silbrige Fluss glitt lautlos vorbei. Ein aufgeschreckter Vogel ergriff die Flucht und klatschte dabei mit den Flügeln blindlings durch das Geäst, woraufhin Rosie, nicht aber ihr Pferd, erschrocken zusammenzuckte. Sie glitt von Oakwoods Rücken und wickelte die Zügel um einen liegenden Baumstamm. Dann setzte sie sich ins feuchte Gras und begann zu weinen. Ihre Tränen waren still und silbern wie der Fluss. Die Knie an die Brust gezogen, saß sie bibbernd in feuchten Jeans und einem T-Shirt da. Ihre Zähne begannen zu klappern. Sie wischte die heißen Tränen von ihren kalten, blutigen Wangen und wiegte sich leise vor und zurück.
Nach einer Weile wurde das Bibbern übermächtig. Rosie wusste, dass es nicht nur von der Kälte, sondern auch vom Schock her rührte. Sie schlang die Arme um Oakwoods festen Hals und wärmte ihr Gesicht unter seiner langen Mähne. Dann schob sie die Hände unter seine warme Satteldecke und weinte noch mehr Tränen an seinen Hals. Am liebsten wäre sie hier und jetzt gestorben. Sie wünschte sich, der Fluss würde mit einem Mal ansteigen und sie wegreißen.
Dann hörte sie ein Rascheln zwischen den Büschen, und ihr Herz setzte vor Angst einen Schlag aus. Eine schwarze Silhouette trat aus dem Dickicht. Erst dachte Rosie, es sei ein wilder Dingo. Aber die schwarze Silhouette wedelte mit dem Schwanz, und gleich darauf leckte ihr Diesel winselnd und glückselig die Hand.
»Du bist mir gefolgt!«, sagte sie zu Diesel. »Aber wie bist du aus deinem Zwinger gekommen?«
Diesel bellte sie aufgeregt an und lief ins Gebüsch zurück. Gleich darauf erschien Jim auf seiner kastanienbraunen Stute zwischen den Büschen. Er konnte Rosies weißes T-Shirt im Mondlicht leuchten sehen und machte das Gleißen der Steigbügel und des Gebisses aus, das Oakwood trug.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie ihn wütend.
Jim ritt bis vor sie hin. Oakwood wieherte leise und reckte die Nase vor, um Jims Stute zu begrüßen.
»Ich habe dich nicht gefunden. Die Tiere haben mich hergeführt. Sie sind viel schlauer als ich.«
»Geh weg.« Beschämt wandte sie ihm den Rücken zu. Er glitt von seinem Pferd und legte die Hände auf ihre nackten Arme.
»Oh, aber du bist halb erfroren! Hier, lass mich.«
Er schlug seinen weiten, wachsbeschichteten Langmantel auf und legte ihn um sie, bis er sie an seine Brust gezogen hatte. Liebevoll sah er auf ihr Gesicht herab und wischte dann vorsichtig den Dreck und das Blut von ihren Wangen.
»Du hast dich geschnitten.«
»Ich weiß. Es brennt.« Rosie tupfte mit der Fingerspitze auf die Wunde. Es war befremdlich, wie ein bemitleidenswertes Mädchen in Jim Mahonys Armen zu stehen. Sie wollte nicht schwach und bemitleidenswert sein. Er hob ihr Gesicht an, bis sie ihn ansah. »Was hat dich so durcheinander gebracht?«
Weil sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte, schüttelte sie wortlos den Kopf.
»Dad hat eben Mum verlassen.«
»Oh.« Jim zog sie an sich.
»Aber das ist nicht alles. In Wahrheit bin ich gar keine Highgrove-Jones. Ich habe eben erfahren, dass sich Mom von einem Schafscherer vögeln ließ. Und der ist mein leiblicher Vater.« Im nächsten Moment brach sie wieder in Tränen aus.
»Pst«, tröstete Jim sie und umfasste mit beiden Händen ihren Kopf, dessen Wange sie an seine breite, warme Brust geschmiegt hatte. »Ich bin bei dir.«
Rosie sah zu ihm auf, und im nächsten Moment küsste er sie. Sie spürte, wie Leidenschaft in ihr wach wurde. Seine Lippen waren so warm. Unwillkürlich legte sie den Kopf in den Nacken und erwiderte seinen Kuss. Weil sie ihn mehr wollte als alles andere. Vor Lust wurde ihr die Brust eng, und so küsste und küsste sie Jim Mahony, den Iren, dort unten am Fluss. Sie konnte ihn schmecken, und sie schmeckte ihr eigenes Blut von dem Schnitt an ihrer Unterlippe. Lust und Schmerz trieben sie zur Raserei. Am liebsten
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