Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
aufgenommen. So etwas war typisch für Bob.
Als die Herde schließlich zur Ruhe gekommen war, rief Rod von seinem Pferd aus: »Sam und Flo, ihr übernehmt die Führung. Emily und ich bilden die Nachhut.«
»Aber wir tauschen zwischendurch«, meldete Sam an. »Flo will bestimmt die ganze Zeit quatschen, und ich muss auf dem Ritt ein paar Lieder komponieren.«
»Du bist zum Treiben und nicht zum Komponieren hier«, erklärte sie ihm.
»Und du nicht zum Quatschen«, erwiderte er.
»Vorlauter Fratz!«
»Vergesst nicht, dass wir alle durch Emilys Glücksbärchenland reiten!«, frotzelte er.
Anfangs hatten sie über die neue Familienstrategie, ab sofort positiv zu denken, hauptsächlich gealbert, doch genau das hatte sie über Wasser gehalten, während sie die Rinder im Gebirge zusammengesucht und in die eingezäunten Weiden getrieben hatten.
»Super«, meinte Flo grimmig.
»Ganz super«, wiederholte Sam, aber beide schmunzelten leise, bevor sie an die Spitze der Herde ritten. Useless sah seinem Frauchen nach und schlich dann verstohlen in den Pferdeanhänger, der bei den Koppeln stand, weil er hoffte, dort den Tag verdösen zu können. Doch gleich darauf bellte Flos tiefe Stimme: » Useless!«
» Wünsch ihnen Glück«, meinte Emily grinsend zu ihrem Vater.
»Manches ändert sich nie … Sam und Flo tun immer noch so, als würden sie streiten, und genießen dabei jede gemeinsame Minute.«
Bald würde sich allerdings sehr wohl etwas ändern, durchzuckte es Emily. Rod und Flo besaßen rund um ihre Berghütte immer noch 40 Hektar Privatland, aber nach dem Verlust ihrer Weiderechte konnten sie auf einer so kleinen Fläche keine Rinder mehr halten. Zwar konnten sie im nächsten Sommer ein paar Kühe mit dem Viehtransporter auf ihre Privatweiden fahren, aber davon konnte die Familie nicht überleben.
Im Gegensatz dazu besaß Bob noch dreihundertsechzig Hektar Bergweiden und war damit das einzige Familienmitglied, das von der Rinderhaltung im Gebirge leben konnte. Obwohl sich Emily redlich abmühte, die Dinge positiv zu sehen, erschien es ihr doch wie ein Verbrechen, dass ausgerechnet Bob so viel gutes, kostbares Bergland besaß, obwohl er sich kaum darum kümmerte. Während ihr Vater und ihre Tante, die ihre Weidegebiete fürsorglich gepflegt hatten, vertrieben worden waren.
Emilys Blick lag auf den braunen Hinterbacken der gesunden Kühe und ihrer Kälber, die gemächlich über die Schotterstraße spazierten und mit den Schwänzen schlugen. An den Schwanzspitzen hatten sich nach den Monaten auf den üppigen Sommerbergwiesen kleine Fettröllchen gebildet. Emily liebte es, hinter einer Herde zu reiten, bis sie jede einzelne Kuh an ihrem Hintern erkennen konnte. Die Streitbare, die beim Anblick eines Hunds grimmig den Kopf senkte, das alte Mädchen, das sich für einen Happen grüner Blätter in den Busch zu schlagen versuchte, die Langsamen, die Faulen, die Feger, die sich mit allen anderen in der Herde anlegten. Jede Kuh war ein Individuum, und sie liebte jede einzelne. Alles in allem waren Rinder friedliche, gehorsame und neugierige Wesen.
Jetzt würden sie die meisten verkaufen müssen. Ihr wurde die Kehle eng, als sie wieder an den Brief dachte, den Rod und Flo von der Regierung erhalten hatten und in dem ihnen eine Ausgleichszahlung zugebilligt wurde. Die Regierung kapierte es einfach nicht! Kein Geld konnte den Verlust ihrer Zuchttiere aufwiegen.
Diese Kühe waren etwas Besonderes, denn in ihnen lebte die Erinnerung an die Viehtriebe vergangener Zeiten fort. Sie waren über viele Jahre hinweg gemeinsam mit den Menschen und ihren Hunden gewandert. Mit ihrem Verkauf würde auch die Erinnerung der Herde an jede Kurve, jede Steigung, jeden Ruhe- und jeden Trinkplatz verloren gehen.
Wieder einmal wechselten Emilys Emotionen zwischen Verzweiflung und Euphorie, plötzlich war sie froh, dass ihr Vater diesen letzten Weg mit ihr ritt. Ihre Familie gab ihr Halt und half ihr, inmitten des über sie hinwegfegenden Sturmes zur Ruhe zu kommen. Ihre Familie und Evie.
Sie wusste, dass Evie sie schon in dem Haus auf den High Plains erwartete und gerade das Versorgungsfahrzeug belud, während die beiden Mädchen länger schlafen durften. Der Viehtrieb würde sich eine ganze Woche lang hinziehen, da brauchten die Kinder am ersten Tag nicht gleich beim ersten Sonnenstrahl geweckt zu werden. Evie würde gemeinsam mit den Mädchen die Versorgung übernehmen, den Reitern zu trinken bringen und sie abends zu ihren Pick-ups
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