Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
beiden in dieser Wildnis innerlich gewachsen waren und inzwischen nicht mehr die eingeschüchterten kleinen Wesen waren, die Emily vor einem Jahr in ihrem Vorstadthaus in Brigalow bemuttert hatte. Erst jetzt begriff sie, wie eingeschränkt sie damals gelebt hatten, wie ängstlich sie sich vor den Fernseher gekauert hatten, wenn Clancy wieder einmal einen seiner Wutanfälle bekam. Mittlerweile fragten sie kaum noch nach ihrem Vater, sondern erschienen ihr viel lebendiger und intensiv mit der Welt um sie herum beschäftigt, wollten ihr bei allem helfen und stellten tausend Fragen.
Sie brauchten nicht alles einzupacken. Die Pferde würden auf der weiten Koppel bleiben, und das Essen konnte in der Speisekammer lagern, denn Emily war sicher, dass sie bald wieder herkommen würde. Sie hatte fest vor, in Zukunft in beiden Häusern zu leben – dem ihres Vaters unten im Tal und hier. Unten im Ort würde sie ihre Kinder für das nächste Schuljahr anmelden, und in den Sommerferien wieder herauffahren. Vielleicht konnte sie einen Job im Pub oder im Laden finden, damit sie die Rechnungen bezahlen konnte, die unweigerlich eintrudeln würden, sobald sie in die moderne Welt zurückgekehrt waren.
Bald rollten sie die Bergstraße hinunter. Sie hielten kurz bei Evie an, doch die war nicht zu Hause. Unten in den Vorbergen waren die Flüsse nach der Schneeschmelze angeschwollen, und das Wasser plätscherte und gluckerte fröhlich über die Steine. Kurz vor dem Ortsanfang von Dargo sprossen an den riesigen Walnussbäumen, die als kahle Skelette den Winter überstanden hatten, die ersten großen grünen, schattenspendenden Blätter. Die Eukalyptusbäume waren von Blütenschaum bedeckt.
Emily fuhr an der Kirche und der Schule vorbei. Mit angehaltenem Atem passierte sie das Rangerbüro, weil sie Luke einerseits liebend gern und andererseits auf gar keinen Fall sehen wollte. Als sein Fahrzeug nicht dort stand, brachte sie das Gemisch aus Enttäuschung und Erleichterung, das daraufhin in ihr aufwallte, zum Lachen.
Die Einfahrt zu Tranquility war, wie für Dargo typisch, von einladenden Walnussbäumen und Ulmen gesäumt. Emily fuhr an Bobs Haus vorbei, wo zu ihrer Verblüffung DD aufgeregt an seiner Kette auf und ab sprang. Zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, glänzte das Fell des Hundes, und er wirkte wahrhaftig wohlgenährt. Der Rasen war frisch gemäht, nicht abgefressen, und die Narzissen in den Beeten, die noch aus der Zeit ihrer Großeltern überlebt hatten, waren umringt von anderen leuchtend bunten Frühlingsblumen, die tatsächlich jemand eingepflanzt hatte. Emily runzelte die Stirn. Wohnte inzwischen jemand anderes in Bobs Haus?
Kaum hatte sie den Motor ausgestellt, da waren Meg und Tilly aus dem Auto gesprungen und die Verandastufen hochgerannt. Sie liefen ins Haus und riefen: »Grandpa, Grandpa!«
Niemand antwortete ihnen. Im Haus war es still, die Küche war leer. Mit hängenden Köpfen kamen sie durch die Fliegentür wieder herausgelaufen.
»Da ist keiner.«
Emily runzelte schon wieder die Stirn. Sie hatte doch angerufen und angekündigt, dass sie gegen Mittag eintreffen würden.
»Wahrscheinlich sind gerade alle bei der Arbeit«, sagte sie. »Wir sehen sie später. Jetzt kommt. Helft mir mit den Taschen.«
Nicht mehr ganz so gut gelaunt schleppten die Mädchen die Taschen ins Haus. Als sie durch den Flur stapften, hörten sie ein Geräusch.
Ein Kichern.
»Psst!«, flüsterte Emily. »Habt ihr das gehört?«
Megs und Tillys Gesichter erstrahlten. »Die wollen uns reinlegen!«
Plötzlich hörten sie Jesus Christus wie wild hinter der einzigen geschlossenen Tür im Erdgeschoss bellen – der Tür zum Esszimmer. Sie drückten sie auf und wurden von einem lauten, vielstimmigen »Überraschung!« empfangen. Jesus Christus sprang wie wild herum und schnaufte begeistert.
Die ganze Flanaghansippe stand um den Tisch herum, auf dem ein festliches Mittagessen wartete, das eindeutig Evies Werk war. Erstaunt bemerkte Emily, dass Sam den Arm um Bridie gelegt hatte. Sein freches, hübsches Gesicht leuchtete gesund, und Bridie strahlte Emily glücklich an. Evie stand neben Rod, der vor Liebe und Stolz auf seine Tochter und Enkeltöchter fast platzte. Auf seiner anderen Seite stand Flo, einen Arm über Baz’ Schultern gelegt, der an ihrer Seite gnomenhaft klein wirkte. Und neben den beiden sah sie zu ihrer Verblüffung Onkel Bob.
Er hatte abgenommen und seine Haare abrasiert, auf seinem Unterarm leuchtete ein frisch
Weitere Kostenlose Bücher