Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
Zöpfe zu bestaunen.
»Sind das deine richtigen Haare?«
»Meg!«, rief Emily tadelnd.
»Warum sind sie so weiß wie die von Mums Pferd?«
»Tilly!«
»Bist du eine Hexe?«
» Meg!«, riefen alle im Chor.
Evie lächelte. »Das ist schon in Ordnung. Die meisten Menschen halten mich für total verrückt. Nur weil ich eine Frau bin und trotzdem beschlossen habe, allein in den Bergen zu leben. Wenigstens habe ich kein Haus voller Katzen, mit denen ich mein Essen teile.« Ihr Lächeln erwärmte nicht nur ihr Gesicht, sondern den ganzen Raum. Die Flanaghans lachten erleichtert auf. Evie kam ihnen wie ein sehr netter, normaler Mensch vor.
»Woher wissen Sie, dass wir jemanden brauchen, der sich um Emily kümmert?«, fragte Sam immer noch leicht argwöhnisch.
»Ach, so etwas spricht sich in Windeseile herum«, antwortete Evie ausweichend. »Wobei mir einfällt …« Sie griff in ihre Tasche. »Die Zeitung von heute.«
Die Schlagzeile war nicht zu übersehen. Volksvertreter wollen Cattlemen vertreiben .
»Es sieht nicht gut für euch aus«, erklärte Evie ihnen.
Sie versammelten sich rund um die Zeitung. In der folgenden Woche würde das Parlament über ein Gesetz abstimmen, das die Verlängerung der vor hundert Jahren erteilten Weidelizenzen untersagte. Falls das Gesetz verabschiedet wurde, würde die Weidewirtschaft in allen Natur- und Nationalparks des Bundesstaates verboten. Die Flanaghans wären eine von zahllosen Familien aus dem Hochland, die davon betroffen waren.
Emily sah Evie verstohlen an. War sie extra hergefahren, um ihnen das unter die Nase zu reiben?
»Wir müssen dagegen ankämpfen«, sagte Flo. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit …«
Rod sah ihre Besucherin an. »Danke, dass Sie uns das gezeigt haben. Wir sollten möglichst schnell nach Tranquility runterfahren und etwas unternehmen.«
Sam verdrehte die Augen. »O Mann. Geht das schon wieder los. Und täglich grüßt das Murmeltier!«
»Diesmal ist es anders, Sam!« Emily tippte mit dem Finger auf den Artikel. »Früher haben sie immer nur mit Einschränkungen gedroht. Aber wenn dieser Vorschlag durchgeht, dann wird er Gesetz. Und dann verjagen sie uns endgültig aus den Bergen!«
»Und wenn schon?«, fragte er verbittert. »Dann wäre endlich Schluss mit diesen ewigen Kämpfen!«
»Aber das Land wird darunter leiden. Ständig zwingen sie ganze Regionen völlig undifferenziert unter dieselben Regeln. Dabei sind die Berge überall verschieden!« Emily drehte sich zu Evie um und sah sie fast flehend an. »Sie glauben doch nicht, dass wir vertrieben werden sollen? Oder sind Sie deshalb hergekommen? Aus Schadenfreude?«
»Kein Grund, gleich auf den Boten zu schießen«, beschwichtigte Rod.
Emily ließ sich in ihren Stuhl fallen und murmelte eine Entschuldigung. Aber die Nachricht, dass die Vorlage innerhalb weniger Wochen Gesetz werden könnte, hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. Sie ertrug die Vorstellung nicht, dass ihr Leben auf der Hochebene unwiederbringlich verloren sein könnte. Nur hier wollte sie sein: wo die Snow Gums blühten wie weiße Spitzentücher; wo die Sommerweiden dicht mit winzigen sternengleichen Gänseblümchen übersät waren und wo sich die lila Orchideen wie zauberhafte Feenröcke um die Stämme der grau gestreiften, knorrigen Eukalyptusbäume schmiegten; wo gelbe Trommelstockblumen das Gras tüpfelten und wo unter den Farnbüscheln am weichen Saum der unsichtbaren Quellen das Moos in zauberhaft grünen Flecken wuchs.
Unter endlosen Anstrengungen hatten sie Zäune gezogen, damit die Rinder nicht in die Bachfurten trampelten, die dadurch verschlammen konnten. Wenn in manchen Jahren die Schneeschmelze zu früh einsetzte und das Land trocken und anfällig wirkte, hatten sie die Belastung verringert und weniger Kühe mit nach oben genommen, manchmal sogar deutlich weniger, als es die Vorschriften der Nationalparks für so einen Fall vorsahen. Überall, wo es in dem zerklüfteten Land nur möglich war, hatten Rod und Flo ein gewundenes Netz an unterirdischen Rohren gelegt, um von Leitungswasser gespeiste Tränksysteme zu schaffen und das Vieh von den Bächen fernzuhalten, die über die mit Schnee bestäubten Ebenen flossen.
»Mich braucht ihr nicht zu überzeugen.« Evie hob die Hände. »In meiner Welt gibt es kein Richtig und Falsch. Das Leben ist so, wie es ist.«
Emily freute sich über Evies freundliche Worte, sah aber gleichzeitig, wie Flos Gesicht rot anlief. Emily dachte an die Landschaft jenseits ihrer
Weitere Kostenlose Bücher