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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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allerbedenklichsten Falle ausgesetzt sei, sah ich Liszt eine Probe zu meinem Tannhäuser dirigiren, und war erstaunt, durch diese Leistung in ihm mein zweites Ich wiederzuerkennen: was ich fühlte, als ich diese Musik erfand, fühlte er, als er sie aufführte; was ich sagen wollte, als ich sie niederschrieb, sagte er, als er sie ertönen ließ. Wunderbar! Durch dieses seltensten aller Freunde Liebe gewann ich in dem Augenblicke, wo ich heimathlos wurde, die wirkliche, langersehnte, überall am falschen Orte gesuchte, nie gefundene Heimath für meine Kunst . Als ich zum Schweifen in die Ferne verwiesen wurde, zog sich der Weitumhergeschweifte an einen kleinen Ort dauernd zurück, um diesen mir zur Heimath zu schaffen, überall und immer sorgend für mich, stets schnell und entscheidend helfend, wo Hilfe nöthig war, mit weitgeöffnetem Herzen für jeden meiner Wünsche, mit hingebenster Liebe für mein ganzes Wesen, – ward Liszt mir Das, was ich nie zuvor gefunden hatte, und zwar in einem Maaße, dessen Fülle wir nur dann begreifen, wenn es in seiner vollen Ausdehnung uns wirklich umschließt.
    Am Ende meines letzten Pariser Aufenthaltes, als ich krank, elend und verzweifelnd vor mich hinbrütete, fiel mein Blick auf die Partitur meines, fast ganz schon von mir vergessenen » Lohengrin «. Es jammerte mich plötzlich, daß diese Töne aus dem todtenbleichen Papier heraus nie erklingen sollten: zwei Worte schrieb ich an Liszt, deren Antwort keine andere war, als die Mittheilung der – für die geringen Mittel Weimar's – umfassendsten Vorbereitungen zur Aufführung des Lohengrin. Was Menschen und Umstände ermöglichen konnten, geschah, um das Werk dort zum Verständnisse zu bringen. Die – bei dem jetzt unausweichlich lückenhaften Wesen unserer Theatervorstellungen – einzig das nöthige Verständniß ermöglichende, willensthätige Phantasie des Publikums konnte, unter dem Einflusse der heutigen Gewohnheit, noch nicht sogleich zu entscheidender Kraft sich anlassen: Irrthum und Mißverständniß erschwerten den angestrebten Erfolg. Was war zu thun, um das Mangelnde zu ersetzen, nach allen Seiten hin dem Verständnisse und somit dem Erfolg aufzuhelfen? Liszt begriff es schnell und that es: er legte dem Publikum seine eigene Anschauung und Empfindung von dem Werke in einer Weise vor, die an überzeugender Beredtheit und hinreißender Wirksamkeit ihres Gleichen noch nicht gehabt. Der Erfolg lohnte ihm; und mit diesem Erfolge tritt er nun vor mich hin, und ruft mir zu: Sieh', so weit haben wir's gebracht, nun schaff' uns ein neues Werk, damit wir's noch weiter bringen! –
    In der That waren es dieser Zuruf und diese Aufforderung, die sogleich in mir den lebhaftesten Entschluß zum Angriffe einer neuen künstlerischen Arbeit erweckten: ich entwarf und vollendete in fliegender Schnelle eine Dichtung, an deren musikalische Ausführung ich bereits Hand legte. Für die sofort zu bewerkstelligende Aufführung hatte ich einzig Liszt und diejenigen meiner Freunde im Auge, die ich nach meinen letzten Erfahrungen unter dem lokalen Begriffe: Weimar zusammenfassen durfte. – Wenn ich nun in neuester Zeit diesen Entschluß in sehr wesentlichen Punkten andern mußte, so daß er in der Form, in welcher er bereits der Öffentlichkeit mitgetheilt wurde, in Wahrheit nicht mehr ausgeführt werden kann, so liegt der Grund hiervon zunächst in der Beschaffenheit des dichterischen Stoffes , über dessen einzig entsprechende Darstellung ich mir eben jetzt erst vollkommen klar geworden bin. Ich halte es für nicht unwichtig, hierüber meinen Freunden mich in Kürze schließlich noch mitzutheilen.
    Als ich die Ausführung von » Siegfried's Tod « bei jedem Versuche, sie ernstlich in Angriff zu nehmen, immer wieder als zwecklos und unmöglich erkennen mußte, sobald ich dabei die bestimmte Absicht einer sofortigen Darstellung auf der Bühne festhielt, drängte mich nicht nur im Allgemeinen mein Wissen von der Unfähigkeit unserer jetzigen Opernsängerschaft zur Verwirklichung einer Aufgabe, wie ich sie in diesem Drama stellte, sondern namentlich auch die Besorgniß, meine dichterische Absicht – als solche – in allen ihren Theilen dem von mir einzig nur noch bezweckten Gefühlsverständnisse nicht nur des heutigen, sondern irgend eines Publikums erschließen zu können. Zu allererst hatte ich diese weitumfassende Absicht in einem Entwürfe des Nibelungenmythos', wie er mir zum dichterischen Eigenthume geworden war, niedergelegt:

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