Auszeit - Ein Schwarz Weiss Tot Krimi
mir auch ein bisschen von dem Trifle nehmen? Der sieht ja köstlich aus!«
»Natürlich«, sagte er. »Natürlich.«
Während sie am Büfett stand, ließ er Revue passieren, was sie ihm erzählt hatte, und musste ein Lachen unterdrücken. Er schüttelte den Kopf. Na schön, Johnnie October, jetzt hast du alles gehört. Doch was das Ganze so surrealerscheinen ließ, waren ihre Aufrichtigkeit, ihre Arglosigkeit, ihre kindliche Ehrlichkeit.
Sie kehrte an ihren Platz zurück, den Dessertteller hoch voll mit süßem Schichtpudding.
»Beweise es mir!«, verlangte er.
»Habe ich doch heute Nachmittag schon getan«, erwiderte sie und löffelte den Pudding mit großem Appetit. »Deine Frau kocht wirklich unheimlich gut.«
»Weiß ich«, antwortete er in Gedanken versunken. Dann fragte er: »Heute Nachmittag? Mit dem Wecker?«
»Wie hätte ich das denn sonst anstellen sollen?«
Das wusste er beim besten Willen nicht.
»Kannst du mir … noch ein Beispiel zeigen?«
»Klar«, nuschelte sie, den Mund voller Trifle. Dann fügte sie hinzu: »Aber denk dran – ich kann nicht einfach irgendetwas tun.«
»Nicht?«
»Nein, ich könnte zum Beispiel nicht in ein Auto einsteigen und losfahren. Denn der Motor braucht Zeit, um anzuspringen, das Benzin, um zum Fließen gebracht zu werden und so weiter. Und das geht nicht, denn die Zeit steht still.«
»Aaah ja«, sagte er, obwohl er es immer noch nicht richtig verstand.
»Stell dir einfach mal vor, ich würde Frühstück machen. Ich kann in der Auszeit Brot schneiden, aber nicht das Wasser im Kessel zum Kochen bringen, denn der Strom braucht Zeit, um den Kessel zu erwärmen.«
»In der Auszeit?«
»So nenne ich diesen Zustand. Weil die Zeit ausgeschaltetist. Und damit auch alle Geräusche. Ich glaube, der Schall braucht ebenfalls Zeit, um sich auszubreiten.« Dann aß sie weiter.
Draußen zog das Wummern von Rockmusik-Bässen seine Aufmerksamkeit auf sich. Er blickte durch das Restaurantfenster. Auf der Straße stand ein weißer Corsa-Pickup vor der roten Ampel. Auf den Vordersitzen saßen drei junge Männer. Sie hatten die Scheiben heruntergelassen, und der Fahrer trommelte mit einer Hand den Rhythmus auf dem Dach mit.
October zeigte auf den Bakkie. »Kannst du dafür sorgen, dass dieser Lärm aufhört?«
Sie folgte seinem Blick, lachte schalkhaft und sagte: »Okay, cool, aber du musst genau aufpassen, denn für dich wird es so aussehen, als geschähe es unmittelbar.«
Er sah, dass sie die halbvolle Wasserflasche vom Tisch nahm, dann konzentrierte er sich auf den Bakkie draußen.
Es ging so schnell, dass er nur das vage Gefühl einer Störung verspürte, wie bei einer Schallplatte, auf der die Nadel fast unmerklich springt: Der junge Mann zog plötzlich die Hand vom Dach weg, die Rockmusik erstarb, und stattdessen ertönte ein hoher, schriller Opernsopran – und sie saß vor ihm, hatte nur kurz die Hände bewegt und die Wasserflasche war leer.
Draußen in der Fahrerkabine des Bakkies herrschte helle Aufregung und großes Durcheinander, aber er konnte nicht viel erkennen.
»Ich habe dem Fahrer das Wasser übergeschüttet und das Radio auf FMR gedreht«, erklärte sie.
Mit quietschenden Reifen raste der Corsa davon. Octoberblickte wieder Nita an, das Mädchen, das die Zeit anhalten konnte, und sagte nur fassungslos: »Unglaublich!«
Als Pearlie nach der Arbeit heraufkam, hatte er für sie ein Schaumbad eingelassen und Kerzen angezündet. Seine Belohnung bestand darin, mit anzusehen, wie ihre Anspannung sogleich nachließ. Strahlend lächelte sie ihn an und legte ihm die Hände um den Nacken. »Mein Herz«, war alles, was sie sagte.
Sie unterhielten sich durch die offene Badezimmertür; er lag gemütlich im Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er konnte ihr nicht alles erzählen, denn er hatte Nita schwören müssen, ihr Geheimnis nicht zu verraten. »Großes Pfadfinderehrenwort«, hatte sie bitter ernst verlangt. Pearlie erfuhr daher nur, dass er aufgrund des Gesprächs Nitas Vermutungen über die Morde teilte. Und dass er Ermittlungen anstellen müsse. »Ich werde mir Urlaub nehmen müssen, Pearlie.«
»Das ist die beste Nachricht des Jahres«, erwiderte seine Frau, die ihn schon seit Monaten drängte, endlich seinen angesammelten Resturlaub zu nehmen.
Als sie neben ihn ins Bett schlüpfte, fragte sie: »Aber es ist doch hoffentlich nicht gefährlich, oder, mein Herz?«
Ihr sechster Sinn hatte ihn seit jeher daran gehindert, sie anzulügen. Deswegen
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