Auszeit - Ein Schwarz Weiss Tot Krimi
erzählte ihr, dass er in der Firma von Mercia Hayward angerufen habe, diese aber noch nie etwas mit der Kanzlei Holtzhausens zu tun gehabt hatte. Festzustellen, ob sie sich privat gekannt hatten, sei komplizierter. Deswegen wolle er sich den Montag freinehmen, damit er die Feldarbeit erledigen könne. Vor nächster Woche könne er nicht damit beginnen, weil er erst die E-Mails abwarten wolle, die als Reaktion auf seine Anfrage an das Archiv geschickt wurden. Denn wenn sie noch einen weiteren Vorfall – unter Umständen einen Mord – mit dem geheimnisvollenunbekannten Verdächtigen verknüpfen konnten, wäre es vielleicht einfacher, einen Zusammenhang zu finden.
»Was kann ich tun?«, fragte sie.
»Wie flexibel bist du?«
»Ich studiere, Oom. Ich bin den ganzen Tag an der Uni.«
Es hätte ihn interessiert, was und wo, aber er fragte nicht nach. »Aber ich nehme an, dass du ab Viertel vor vier Zeit hast?«
Sie lächelte nur und nickte.
»Warte, bis wir mit den eigentlichen Ermittlungen anfangen. Wir können nicht auf Durchsuchungsbeschlüsse zurückgreifen, und deshalb musst du helfen, wenn wir irgendwo reinwollen. In Holtzhausens Kanzlei zum Beispiel. Oder in das Haus von Mercia Hayward.«
»Cool«, sagte sie begeistert.
Er schob die Akten beiseite. »Wie fühlt sich das an, Nita? Wenn die Zeit stillsteht?«
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und holte tief Luft, genau wie am Abend zuvor, als bereite sie sich auf ein heikles Geständnis vor. »Es ist irgendwie … schwer«, sagte sie. »In einem ganz konkreten Sinn. Alles ist schwer. Schwerer als normalerweise. Es fühlt sich an … als bewege man sich durch einen See voller Sirup. Schon das Gehen bereitet Schwierigkeiten, und Rennen ist umso mühsamer. Ich werde schnell müde. Deswegen gehe ich ins Sportstudio, weil das Training mir hilft, das Hanteltraining und das Spinning. Eine Auszeit pro Tag, mehr schaffe ich kaum, etwa eine Dreiviertelstunde. Oder zwei kürzere Phasen.« Sie hielt inne und sah ihn an. »Es ist so unglaublich für mich, das endlich einmal jemandem erzählen zu können!«
»Hast du es nie zuvor versucht?«
Sie lächelte. »Doch. In der neunten Klasse habe ich versucht, es meinem Freund zu erklären. Aber vergeblich. Er hat geglaubt, ich wolle nur tiefsinnig daherreden. Egal. Aber außer, dass es schwer ist, ist es auch absolut – wie soll ich sagen – cool! Die Federn einer Bachstelze zu berühren, wenn sie die Flügel zum Landen gespreizt hat, einen Wassertropfen zwischen die Finger zu nehmen, während er in der Luft hängt …«
»Wozu benutzt du dein – Talent?«
»Für das Studium. Und wenn ich mal spät dran bin. Dann ist es unglaublich nützlich. Eigentlich sollte ich mal eine Firma gründen.
SonderZeit.
Ich könnte zum Beispiel für Unternehmen arbeiten, die unter großem Termindruck stehen, so was in der Art.«
»Hast du deine Fähigkeit auch schon mal für etwas anderes eingesetzt? Man gerät doch bestimmt ab und zu in Versuchung …«
Sie runzelte beleidigt die Stirn. »Ich habe noch nie etwas Gemeines oder Verbotenes getan.«
»Das wollte ich dir auch nicht unterstellen.«
»Aber manchmal muss man eben – helfen. Letzte Woche hat so ein Typ an der Uni seine Freundin ganz fies fertiggemacht, vor versammelter Mannschaft. So was regt mich auf, wenn jemand seine Macht missbraucht, wenn Stärkere meinen, dass sie mit Schwächeren alles machen können.«
»Und was hast du getan?«
»Ich habe seinen Gürtel und seine Jeans vorne aufgemacht, du weißt schon …«
Die Vorstellung und die verschämte Art, wie sie davonerzählte, brachten ihn lauthals zum Lachen. »Gut gemacht!«, sagte er.
»Ach ja, und im Januar habe ich einen Taschendieb gefangen, in der Birdstraat.« Plötzlich schien ihr bewusst zu werden, dass sie mehr verriet, als sie eigentlich gewollt hatte. Sie stand auf. »Ich muss jetzt los«, sagte sie. »Aber ich ruf dich an, jeden Tag um Viertel vor vier.«
»Warte, ich gebe dir auch meine Handynummer.«
»Habe ich schon.«
Er fragte sich noch, woher sie die hatte, als sie auf halbem Wege zur Tür noch einmal stehen blieb und sich umdrehte, mit bekümmerter Miene. »Was machen wir denn jetzt, Oom Johnnie?«
»Wir werden ihn schnappen.«
»Okay, aber wie? Wir können uns ja schlecht vor ihn hinstellen und sagen: ›Sie sind verhaftet.‹ Er braucht nur die Zeit anzuhalten, und schon ist er weg.«
»Aber du bist doch auch noch da. Ich bin sicher, uns fällt noch etwas ein. Zuerst sollten wir aber
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